Dipl.-Ing. Natalie Thiedig ist Prokuristin bei der 1994 in Aachen gegründeten BKI - Beratungsgesellschaft für kommunale Infrastruktur mbH. Zu ihren Schwerpunkten gehören die Themen Verkehr und Straßenentwurf. Dipl.-Ing. Marc-André Müller ist Vertriebsleiter und Prokurist bei der NEW Niederrhein Energie und Wasser GmbH in Mönchengladbach.
IK-Bau NRW
Frau Thiedig, heute geht es um das große Thema Mobilität im Arbeitsleben. Wie
macht man sich buchstäblich auf den Weg?
Natalie Thiedig
Am besten gar nicht. Im Sinne des Klimas ist die beste Lösung, man bleibt so
oft wie möglich im Homeoffice. Aber das ist für viele Ingenieur*innen oft keine
Option. Darum gilt, wer sein Unternehmen klimaneutral gestalten möchte, sollte
nicht nur auf Dienstreisen, sondern auch auf den täglichen Weg zur Arbeit
schauen.
IK-Bau NRW
Und was wäre in diesem Sinne die zweitbeste Option?
Natalie Thiedig
Muss man hinaus ins Büro, zu Kunden oder auf die Baustelle, könnte man zu Fuß
gehen, Rad fahren oder Bus und Bahn nutzen. Mit den neuen E-Bikes bewältigt man
auch Strecken für die früher das Auto alternativlos gewesen wäre. Doch manchmal
kommt man ohne Auto nicht zum Ziel. Bei kürzeren Strecken ist das Elektroauto
eine Option, zumal der Bund verspricht, die Ladeinfrastruktur massiv
auszubauen. Für längere Strecken bieten sich Automobile mit modernen und
emissionsarmen Verbrennungsmotoren als kleineres Übel an.
IK-Bau NRW
Herr Müller, Stichwort E-Mobilität. Wie würden Sie den Status Quo der
Ladeinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen bewerten und auf welche Entwicklung
dürfen wir kurz- und mittelfristig hoffen?
Marc-André Müller
Wer plant, ein E-Mobil anzuschaffen, sollte zunächst überlegen, habe ich zu
Hause und am Arbeitsplatz eine Lademöglichkeit oder kann diese problemlos
installiert werden? Dank vielfältiger öffentlicher Förderung durch das Land NRW
und insgesamt überschaubarer Kosten ist dies meist ein zu lösendes Problem. Im
Bereich der Kurz- und Mittelstrecke finden Sie schon heute eine sehr gute
Ladeinfrastruktur vor, die stetig ausgebaut wird und oft auch einen kostenlosen
Parkplatz bietet, was in den Großstädten mehr als ein netter Nebeneffekt ist.
Verlässt man den Bereich der Kurzstrecke, spannt sich auch entlang der
Autobahnen ein engmaschiges Netz an Ladestationen. Auf der Langstrecke sollte
das E-Mobil allerdings über eine Schnelllademöglichkeit verfügen. Derart
ausgerüstet, braucht man für eine Fahrt, die mit dem herkömmlichen PKW 5
Stunden dauern würde, gerade einmal eine halbe Stunde länger. Und was das
Payment angeht, kann man bundesweit an vielen Ladestationen mit der Karte nur
eines Netzanbieters zahlen, Roamingverträge zwischen den Versorgern machen es
möglich.
IK-Bau NRW
Die Elektromobilität besitzt nicht nur Befürworter. Manche verweisen auf die
bei der Energieerzeugung und -bereitstellung anfallenden Emissionen. Was lässt
sich dazu sagen? Ist die E-Mobilität in diesem Sinne nur eine Zwischen- oder
eine echte Zukunftstechnologie?
Marc-André Müller
Leider hält sich der Mythos hartnäckig, Elektroautos seien unter dem Strich
weniger umweltfreundlich als herkömmliche PKWs mit Verbrennungsmotoren. Doch es
gibt eine Vielzahl neuerer wissenschaftlicher Studien, die das Gegenteil
belegen. Laut einer aktuellen Studie des Fraunhofer-Institut für System- und
Innovationsforschung spart man mit einem in Deutschland gekauften E-Mobil über
die durchschnittliche Nutzungsdauer von 13 Jahren in erheblichem Umfang
Treibhausgase ein. Legt man nur den Strommix in Deutschland zugrunde, liegt die
Spannweite der Einsparung je nach Fahrzeug bei 28 Prozent bis 42 Prozent. Bei
einer nicht unüblichen hundertprozentigen Versorgung mit regenerativem Strom z.
B. durch eine eigene PV-Anlage mit Speicher bzw. die Nutzung eines
ambitionierten Ökostromangebots, liegen die Emissionen eines E-Mobils gegenüber
einem konventionellen Pkw sogar um 65 bis 75 Prozent niedriger.
IK-Bau NRW
Frau Thiedig, welche Anreize kann der Arbeitgeber aus Ihrer Sicht setzen, um seine Mitarbeiter zum Verzicht auf den herkömmlichen PKW mit Verbrennungsmotor zu bewegen?
Natalie Thiedig
Der Arbeitgeber könnte zum Beispiel prüfen, ob sich für einen Mitarbeiter ein
Job-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr eignet. Bezahlt der Arbeitgeber das
Job-Ticket, ist das in der Regel steuerfrei. Eine andere Variante, die
ebenfalls steuerlich begünstigt wird, ist die Beteiligung des Arbeitsgebers am
Rad- und Pedelec-Leasing. Der Arbeitgeber überlässt dem Beschäftigten das Rad
oder Pedelec auch zur privaten Nutzung. Die Finanzierung der Leasingraten
erfolgt im Wege einer Entgeltumwandlung, am Ende der Leasinglaufzeit sollen die
Beschäftigten das Zweirad möglichst preisgünstig erwerben können. Aber
dauerhaft wird ein Mitarbeiter das Rad oder Pedelec nur nutzen, wenn es im
Unternehmen eine passende Infrastruktur gibt. Dazu gehören etwa wettergerechte
und geschützte Radabstellanlagen, Dusch- und Umkleideräume sowie
Ladeeinrichtungen für Akkus. Im Übrigen werden auch E-Dienstfahrzeuge und die
Bereitstellung von Ladeinfrastruktur steuerlich gefördert.
IK-Bau NRW
Herr Müller, inwiefern ist aus Ihrer Sicht ein E-Dienstwagen derzeit schon ein
vollwertiger Ersatz für den herkömmlichen PKW mit Verbrennungsmotor?
Marc-André Müller
Gerade für Unternehmen, die im städtischen Raum agieren oder vor allem
Kurzstrecken bewältigen müssen, kann der E-Dienstwagen ein vollwertiger Ersatz
für den herkömmlichen PKW sein. Nicht zuletzt die umfangreichen öffentlichen
Fördermodelle machen den Umbau der Dienstwagenflotte für Unternehmen
interessant. Und auch Arbeitnehmer profitieren erheblich. Sie versteuern ihren
Dienstwagen statt mit den für herkömmliche PKW fälligen 1 Prozent, nur mit 0,25
Prozent des Listenpreises. Aber neben diesen harten Faktoren gibt es auch noch
ein anderes Argument auf ein E-Mobil umzusteigen: Es dient der Umwelt und es
macht gleichzeitig riesigen Spaß, ein solches Auto zu fahren.
IK-Bau NRW
Frau Thiedig, wie eingangs schon erwähnt, geht es bei den Themen Mobilität und
Nachhaltigkeit auch darum, unnötige Wege zu vermeiden. Wie kann ein modernes
Büromanagement dazu beitragen?
Natalie Thiedig
Grundsätzlich lässt sich durch Telearbeit und Homeoffice die tägliche Anreise
ins Büro vermeiden. Falls Corona eine positive Nebenwirkung hatte, dann sicher
die Erfahrung vieler Arbeitgeber, dass ihre Mitarbeiter auch im Homeoffice
effektiv und effizient arbeiten. Deshalb sollte man im Sinne von Klimaschutz
und Nachhaltigkeit in der Zeit nach Corona nicht einfach zum Status quo ante
zurückkehren. Auch Videokonferenzen können Reisen ersetzen, hier sollte man im
Einzelfall abwägen, ob eine persönliche Anwesenheit notwendig ist.
Das Interview führte Dr. Bastian Peiffer, Pressesprecher der IK-Bau NRW