„Diverse Teams lösen komplexe Probleme einfach besser“

„Diverse Teams lösen komplexe Probleme einfach besser“

Was für das Ingenieurwesen gilt, gilt auch für die gesamte Immobilienbranche. Man findet immer noch zu wenige Frauen in Führungspositionen. Oft endet der berufliche Aufstieg mit dem ersten Kind. Teilzeit und Führung lässt sich selten miteinander vereinbaren. Anne Tischer, Inhaberin einer Kommunikationsagentur in München und seit vielen Jahren in der Branche tätig, will das mit dem Verein FRAUEN !N FÜHRUNG (F!F), der sich für mehr Frauen in den Führungspositionen der Immobilienwirtschaft einsetzt, ändern. Wir haben mit ihr über den Status Quo der Gleichstellung in der Branche gesprochen, darüber, was sich bereits geändert hat und was sich noch verändern muss.

Anne Tischer
Anne Tischer
Farideh Diehl
Parität im Topmanagement

IK-Bau NRW: Seit wann gibt es die Initiative „Frauen in Führung (F!F)“ und was war der Anlass zur Gründung?

Anne Tischer: „Frauen in Führung” gibt es seit Juni 2019, also seit vier Jahren. Damals wurde der Verein in Frankfurt am Main von elf Frauen aus der Immobilienbranche gegründet.

IK-Bau NRW: Wie kam es zur Gründung von F!F?

Anne Tischer: Durch meine eigenen Erfahrungen in der Branche, in die ich 2007 durch Zufall gekommen bin. In den Unternehmen, in denen ich arbeitete, habe ich überall dasselbe beobachtet: Die Führungspositionen waren fast ausschließlich mit Männern besetzt, die sich meistens in ihrem Auftreten, ihrem Werdegang, ihren Sichtweisen ähnelten und in Meetings vor Selbstbewusstsein nur so strotzten. Die eigentliche Arbeit machten oft sehr fähige, engagierte Frauen, die aber nur wenig entscheiden konnten. Mit der Zeit hat mich dieses Ungleichgewicht immer mehr gestört, denn so viel Talent wurde in den Unternehmen übersehen, so viele gute Ideen und Lösungen wurden nicht ernstgenommen oder gar nicht erst gehört. Das hat mich immer mehr gestört und geärgert. In mir wuchs der Wunsch, etwas zu tun, um frischen Wind in die Branche zu bringen. So entstand die Idee zur Gründung eines Vereins für mehr Frauen in den Entscheidungsebenen der Branche. Dass die Branche hier dringend etwas tun muss, zeigt auch der Blick auf die Zahlen: Nur jede zehnte Position im Topmanagement der Branche ist mit einer Frau besetzt, auf Leitungsebene ist es jede fünfte Stelle.

IK-Bau NRW: Wie hat sich der Verein entwickelt?

Anne Tischer: Sehr positiv, obwohl wir F!F nur ein dreiviertel Jahr vor Beginn der Pandemie gegründet und in den „Corona-Jahren“ aufgebaut haben. Heute sind 32 Unternehmen aus der Immobilienwirtschaft Mitglied bei F!F. Toll wäre es, wenn da auch noch ein paar mehr Unternehmen aus dem Bau- und Ingenieurwesen dazukämen. Wir sind über unsere Kampagnen, Veranstaltungen, Interviews, Studien und den Speakerinnen-Pool in den letzten Jahren sehr sichtbar in und außerhalb der Branche geworden, auch über unsere Kanäle auf LinkedIn und Instagram. Beim Aufbau des Vereins geholfen hat auch, gezielt mit Organisationen und Netzwerken in der Branche zu kooperieren. Wir arbeiten mit Studierenden- und Alumninetzwerken an der TH Aschaffenburg, der IREBS an der Uni Regensburg und FORE zusammen, aber auch mit dem Urban Land Institute, Architekturnetzwerken, Vereinen und Verbänden wie dem ZIA, RICS, den Frauen in der Immobilienwirtschaft, der gefma und der AllBright Stiftung in Berlin. Vor Kurzem hat Bundesbauministerin Klara Geywitz die Schirmherrschaft für unseren Verein übernommen, vor zwei Jahren finanzierte das Bundesfamilien- ministerium unsere erste größere Studie. Es ist wirklich toll zu sehen, wie viele unsere Mission und Arbeit unterstützen.

IK-Bau NRW: Aus welcher Motivation heraus werden Unternehmen Mitglied von F!F?

Anne Tischer: Das sind oft Unternehmen, die erkannt haben, wie wichtig es ist, ihren Mitarbeitenden ein gutes Umfeld zu bieten mit den gleichen Chancen sich weiterzuentwickeln und Verantwortung zu übernehmen. Der Fachkräftemangel ist auch in der Immobilienbranche ein großes Thema. Für viele Unternehmen ist es schwer, gute Leute zu bekommen und noch schwerer, sie zu halten. Eine Mitgliedschaft bei F!F hilft Unternehmen, sich als attraktive, sozial nachhaltige Arbeitgebende zu positionieren. Außerdem erhalten sie als Mitglied im Verein gute Impulse in Form von Vorträgen und Best Practices, z.B. zu Topsharing oder einer inklusiven Unternehmenskultur. Mitgliedsunternehmen können ihre Beschäftigten über F!F positionieren und sichtbar machen und erhalten Zugänge zu Talenten bei unseren Veranstaltungen. Wir als Verein wünschen uns von unseren Mitgliedsunternehmen auf der anderen Seite ein gewisses Commitment. Um „Gender-Washing“ analog zum Greenwashing zu vermeiden, ist unser Aufnahmekriterium für eine Mitgliedschaft im Verein eine Selbstverpflichtung zu Zielgrößen und Fristen für die Frauenanteile in den Führungsebenen im Unternehmen.

IK-Bau NRW: Welche Faktoren bremsen qualifizierte Frauen auf ihrem Weg in Führungspositionen und wie kann man diese Bremsen lösen?

Anne Tischer: Wir haben im letzten Jahr eine Studie veröffentlicht mit dem Titel „Mehr Frauen in Führung in der Immobilienwirtschaft: Wie gelingt der Wandel?“. Dort haben wir die Umfrage-Teilnehmenden, allesamt Beschäftigte der Branche, nach den zehn größten Bremsklötzen für mehr Frauen in Führungspositionen gefragt. Der Top-1-Bremsklotz aus Sicht der weiblichen Befragten ist, dass Führungsjobs oft über männliche Netzwerke vergeben werden. Je höher die Position, desto stärker greift dieser Netzwerkfaktor. Der zweitgrößte Bremsklotz ist eine männlich geprägte Kultur und Kommunikation im Unternehmen, die viele Frauen abschreckt und der dritte, dass Personalentscheidungen überwiegend von Männern getroffen werden. Dazu kommt: Viele Unternehmen setzen eine Führungsposition mit einer Vollzeitstelle gleich. Das verhindert, dass Frauen, von denen viele in Teilzeit arbeiten, in Unternehmen aufsteigen können. Das sind oft gut ausgebildete Frauen, deren Karrieren durch den Wechsel in die Teilzeit stagnieren, obwohl sie überaus qualifiziert sind, teils bereits Führungserfahrung erworben haben und in deren Entwicklung das Unternehmen oft Geld und Ressourcen investiert hat. All das liegt plötzlich auf Eis. Wir brauchen Modelle, die Führung in flexibleren Modellen und Arbeitszeiten ermöglichen. Führungstandems bieten z.B. die Möglichkeit, eine Führungsstelle auf vier, statt zwei Schultern zu verteilen und beiden Tandempartner*innen Teilzeit zu ermöglichen. Wichtig ist es auch, die Männer mit ins Boot zu holen. Auch Männer haben Kinder, die sie nicht nur kurz am Abend oder am Wochenende sehen wollen. Es ist wichtig, dass wir uns als Gesellschaft von der tradierten Rollenverteilung, Mann macht Karriere in Vollzeit, Frau kümmert sich um Kinder und Haushalt und arbeitet nebenbei in Teilzeit, wegkommen. Solange Unternehmen sich darauf verlassen können, dass Männer uneingeschränkt in Vollzeit verfügbar sind, werden sie diesen auch bevorzugt Führungspositionen überlassen. Erst wenn sie längere Elternzeiten und Teilzeitarbeit gleichermaßen für Männer wie Frauen gelten, müssen Unternehmen umdenken und ihre Führungsmodelle flexibler gestalten.

IK-Bau NRW: Aber wie gelingt es denn, das Mindset bei den Menschen zu verändern, die im Moment in der Position sind, diese Öffnung herbeizuführen? Nicht selten sind dies Menschen aus einer Generation, die mit traditionellen Geschlechterrollen sozialisiert wurden.

Anne Tischer: Nach meiner Erfahrung hilft es, im Gespräch mit Geschäftsführenden und Managern der Babyboomer-Generation sachliche Argumente und konkrete Zahlen zu liefern, z.B. zum finanziellen Schaden, der durch unbesetzte Stellen, hohe Fluktuation, Auftragsverlust durch fehlendes Personal entsteht oder zu entstehen droht. Gleichzeitig ist es wichtig, die Vorteile und Chancen zu benennen, die durch mehr Frauen in Führungspositionen und gemischte Führungsteams entstehen: mehr Umsatz und Gewinn, zufriedenere Kundinnen und Kunden, loyalere und motivierte Mitarbeitende, weniger Fehlzeiten, Krisenfestigkeit, Reputationsgewinn. Alle diese Vorteile sind durch viele Studien belegt. Hilfreich ist auch, das Verbindende im Gespräch zu suchen. Viele Babyboomer haben z.B. Töchter oder bereits Enkelkinder, für die sie sich gute Entwicklungsmöglichkeiten im Job wünschen. Der Weg zu mehr Vielfalt in den Führungsebenen ist letztlich auch eine Chance, in den letzten Berufsjahren etwas wirklich Positives zu bewirken.

IK-Bau NRW: Wie komme ich zu echten Veränderungen?

Anne Tischer: Eine echte Veränderung gelingt nur, wenn die Geschäftsführung wirklich dahintersteht und Diversität als strategisch wichtiges Ziel auf die Agenda setzt. Das heißt auch, als Führungsteam der Belegschaft persönlich zu erklären, warum das Unternehmen mehr Frauen in Führungspositionen anstrebt, und was getan wird, um dieses Ziel zu erreichen. Es braucht eine langfristige Strategie, bereitgestellte Ressourcen in Form von Geld und Personal sowie konkrete Zielgrößen und Fristen zur Erhöhung der Frauenanteile in den Führungsebenen. Sinnvoll ist es, diese KPIs in die Zielvereinbarungen der Führungskräfte zu integrieren, um einen konkreten Anreiz für die Beförderung von Frauen zu setzen.

IK-Bau NRW: Was die Quotenregelungen angeht, trennen sich Gegner und Befürworter hier wirklich nach Geschlechtern oder eher nach Generationen?

Anne Tischer: Gegner und Befürworter gibt es in allen Generationen und Geschlechtern. Aber die Gründe dafür sind verschieden. Jüngeren Generationen sind gleiche Karrierechancen sehr wichtig, viele setzen sie in den Unternehmen voraus und halten eine Quote deshalb anfangs nicht für notwendig. Das ändert sich erst später, wenn sich die gläserne Decke bemerkbar macht, oft wenn mit der Familiengründung. Insgesamt wächst bei Beschäftigten, bei Frauen wie Männern, der Wunsch nach flexibleren Arbeitsmodellen, Wertschätzung, einer gesunden Work-Life-Balance und einem offenen und inklusiven Umfeld im Unternehmen. Und immer mehr erkennen, dass es für die nötigen Veränderungen auch einen gewissen Druck braucht. Um voranzukommen, braucht es genauso den Dialog und das Verständnis füreinander. Auch für diejenigen, die sich in den alten Strukturen hochgekämpft und auf dem Weg nach oben auf Vieles verzichten haben: Zeit für ihre Kinder, die Partnerin oder den Partner, Freundschaften, für sich selbst. Da ist auch viel verdrängter Schmerz da, der dünnhäutig macht. Manch ein Topmanager oder eine Topmanagerin fühlt die eigene Lebensleistung durch die Quote in Frage gestellt. Was Jahre lang richtig schien, wird plötzlich kritisiert. Diese Reaktion ist schade, aber menschlich auch nachvollziehbar. Wichtig ist, dass wir versuchen, nicht der Versuchung zu erliegen, in Lagerbildung, in ein „Wir gegen die“ zu verfallen. Denn der Wandel geht nur gemeinsam.

IK-Bau NRW: Zu F!F gehört auch ein Speakerinnen-Pool verbunden mit dem Ziel, 50 Prozent Frauen auf die Panels & Podien von Immobilienevents zu bringen. Manche Bereiche der Immobilienbranche sind dort schon recht gut abgebildet, andere noch weniger, unter anderem findet man kaum Ingenieurinnen. Woran liegt das?

Anne Tischer: Ich glaube, das liegt zunächst daran, dass wir in unserem Social-Media-Netzwerken den ingenieurtechnischen Bereich noch nicht so sehr erreichen wie andere Bereiche, die sehr gut im Pool vertreten sind, wie z.B. Architektur, Projektentwicklung, Immobilienmanagement. Das würden wir gerne ändern, vielleicht hilft auch dieses Interview, Ingenieurinnen aber auch Frauen in der Baubranche und im Handwerk für den Pool zu gewinnen. Der Pool, der bereits um die 100 Speakerinnen aus der Bau- und Immobilienwirtschaft umfasst, ist eine tolle Möglichkeit, sichtbar zu werden, mitzureden und andere zu inspirieren. Auf der Real Estate Arena in Hannover wurde durch den Pool zum ersten Mal auf einer Immobilienmesse ein Anteil von über 40 Prozent Frauen auf den Hauptbühnen erreicht.

IK-Bau NRW: Wie kann es gelingen, mehr Frauen für technische, ingenieurwissenschaftliche Berufe zu begeistern?

Anne Tischer: Zum Beispiel, indem wir Mädchen schon früh für Technik und technische Berufe begeistern. Noch immer ist die Art, wie Kindern Technik, Mathematik, Naturwissenschaften vermittelt wird, sehr männlich geprägt. In Kinderserien, Märchen und Fernsehen erfinden, tüfteln, bauen und forschen, meistens Männer. Eine Identifikationsfigur wie Bob der Baumeister spricht nun mal eher Jungs als Mädchen an. Es ist schön zu sehen, dass sich das langsam ändert, z.B. mit Büchern wie „Klara baut“, das zeigt, dass auch Mädchen tolle Häuser planen und bauen können. Um mehr Frauen für ingenieurwissenschaftliche Berufe zu gewinnen, braucht die Branche ein neues Selbstbild. Dazu gehört, dass auf den Jobanzeigen und UnternehmensWebseiten, in Broschüren und Imagefilmen von Ingenieurbüros mehr Frauen zu sehen sind, dass die Sprache auch die weibliche Form verwendet, dass auch hier Frauen in die obersten Führungspositionen kommen. Immerhin sind 31 Prozent, also knapp ein Drittel der Absolventen im Bereich Bauingenieurwesen Frauen. Ein Potential an Fachkräften, das die Branche unbedingt braucht und für sich gewinnen sollte.

Das Interview führte Dr. Bastian Peiffer, Pressesprecher der IK-Bau NRW

[Erstveröffentlichung im Kammer-Spiegel 07+08/2023]


Anne Tischer, geboren 1978 in Ost-Berlin, ist Changemaker, Unternehmerin, Speakerin und Mutter. Ihre Mission: eine menschlichere und inklusive Arbeitswelt durch mehr Frauen und mehr Vielfalt in den Führungsebenen der Unternehmen. Anne Tischer ist Initiatorin und Vorsitzende des 2019 gegründeten Vereins FRAUEN !N FÜHRUNG (F!F) e.V., der sich für mehr Frauen in den Führungspositionen der deutschen Immobilienwirtschaft einsetzt. Mit ihrer Kommunikationsberatung Karma she said GmbH berät sie Unternehmen und Organisationen rund um Diversität & Inklusion, werteorientiertes Management und zeitgemäße Markenpositionierung. Anne war über 15 Jahre als Pressesprecherin und Marketingexpertin in Immobilienunternehmen sowie in Politik und Stiftungen tätig. Sie ist außerdem Jurymitglied des Next-Gen-Netzwerks MAT (Top 30 unter 30 der Immobilienbranche) www.frauen-in-fuehrung.info