MINECRAFT - Wie ein Videospiel technisches Denken und Teamarbeit fördert

MINECRAFT - Wie ein Videospiel technisches Denken und Teamarbeit fördert

Computerspiele sind längst mehr als Unterhaltung – sie vermitteln Fähigkeiten, die auch im Ingenieurberuf eine Rolle spielen. Minecraft, eines der weltweit erfolgreichsten Spiele, bietet eine spielerische Einführung in Bauplanung, Materialkunde und Teamarbeit. Sven Radtke von der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW erklärt im Interview, wie das Spiel Kreativität und technische Kompetenzen fördert und warum es in Bildungseinrichtungen immer häufiger eingesetzt wird.

IK-Bau NRW:Herr Radtke, wie bewerten Sie die gesellschaftliche Wahrnehmung von Computerspielen. Beobachten Sie hier eine Entwicklung?

Sven Radtke:Das Bild verändert sich stetig. In den letzten Jahren hat sich die Wahrnehmung von Videospielen stark gewandelt. Große kulturelle Institutionen, darunter das Smithsonian Museum in New York, erkennen Videospiele mittlerweile als Kunstform an. Spiele vereinen verschiedene kreative Disziplinen wie die visuelle Gestaltung, das Charakterdesign oder die Architektur virtueller Welten. Sie vereinen verschiedene kreative Disziplinen und erzählen oft aufwendig inszenierte Geschichten, vergleichbar mit literarischen oder filmischen Werken. Auch die Musik spielt eine wichtige Rolle: Konzerthäuser wie die Kölner Philharmonie veranstalten Aufführungen mit Orchestermusik aus Videospielen – ein Zeichen für die künstlerische Qualität. Wir beobachten also, dass Videospiele in den letzten Jahrzehnten zunehmend als Kunst- und Kulturgut anerkannt werden.

IK-Bau NRW: Was macht die Faszination von Computerspielen aus, insbesondere für jüngere Generationen?

Sven Radtke:Computerspiele sind interaktiv. Man konsumiert nicht nur passiv, sondern trifft aktive Entscheidungen, die den Spielverlauf beeinflussen. Das ermöglicht eine pädagogisch sehr wichtige Selbstwirksamkeitserfahrung. Hinzu kommt das Element der Herausforderung: Fast jedes Spiel fordert die Spieler in irgendeiner Form heraus, sei es durch Rätsel oder strategische Aufgaben. Dabei sind Computerspiele oft besonders gut darin, den Spieler niemals zu über- oder unterfordern. Ein weiteres Schlüsselelement ist das soziale Miteinander. Viele Spiele werden heute online mit Freunden oder anderen Spielern weltweit gespielt. Dieses Gemeinschaftsgefühl ist für viele ein großer Anreiz.

IK-Bau NRW: Welche Kompetenzen werden durch das Spiele Minecraft angesprochen und gefördert?

Sven Radtke: Minecraft bietet zwei Modi: den Überlebensmodus (Survival Mode), in dem Ressourcen gesammelt und Gefahren gemeistert werden müssen, und den Kreativmodus (Creative Mode), in dem Spieler frei bauen können. Im Kreativmodus geht es primär um den künstlerischen Ausdruck. Im Überlebensmodus sind hingegen Planung und Ressourcenmanagement essenziell. Spieler müssen sich überlegen, wie sie effizient Materialien beschaffen, sicher bauen und strategische Entscheidungen treffen. Das Bauen in Minecraft hat zudem eine starke Community-Dynamik. Es gibt Spieler, die sich darauf spezialisieren, im Kreativmodus gigantische Bauwerke zu erschaffen, während andere bewusst den Überlebensmodus wählen, um die zusätzliche Herausforderung des Ressourcenmanagements und der physischen Begrenzungen zu erleben. Ein Beispiel:
Wenn man hoch hinaus möchte, muss man Wege finden, sicher zu klettern oder Stützen zu errichten. Zudem spielt die Materialwahl eine große Rolle – ein Holzhaus kann Feuer fangen, während Stein widerstandsfähiger ist. Solche Überlegungen erfordern vorausschauendes Planen und bringen Minecraft näher an echte Planungsprozesse heran. Neben Kreativität und räumlichem Vorstellungsvermögen wird auch strategisches Denken gefördert. Besonders im Überlebensmodus lernen Spieler, sich langfristig Ziele zu setzen, Ressourcen zu verwalten und Gefahren einzuschätzen. Minecraft bietet ein sehr einzigartiges Lernpotenzial, das es von anderen Spielen abhebt.

IK-Bau NRW: Inwiefern kann Minecraft technische oder naturwissenschaftliche Konzepte vermitteln?

Sven Radtke: Minecraft bietet enormes Potenzial zur Förderung von planerischem und technischem Denken. Allerdings gibt es Einschränkungen: Die meisten Blöcke unterliegen nicht der Gravitation, was statische Prinzipien verzerrt. Dennoch vermittelt das Spiel wichtige Konzepte wie Bauplanung, Materialwahl und Strukturerhalt. Spieler müssen etwa bedenken, ob ihr Gebäude feuergefährdet ist, wenn sie Holz verwenden. Auch Hochbauten erfordern strategisches Vorgehen, etwa durch den Einsatz von Gerüsten. Das Spiel vermittelt somit indirekt ingenieurtechnische Prinzipien. Ein wichtiger Aspekt ist auch die Planung des Baugrundes: Spieler müssen sich überlegen, welche Flächen sie für ihr Projekt nutzen und ob sie das Gelände anpassen müssen – etwa indem sie Erde abtragen oder Wasser umleiten.

IK-Bau NRW: Wird Minecraft bereits gezielt in Bildungseinrichtungen eingesetzt?

Sven Radtke: Ja, es gibt zahlreiche Beispiele. Die Minecraft: Education Edition wird speziell für den Schulunterricht genutzt, etwa um chemische Prozesse zu simulieren. Auch in Jugendzentren oder Ferienprojekten bauen Gruppen gemeinsam virtuelle Nachbildungen von realen Orten, zum Beispiel ihr eigenes Jugendhaus oder ihre Schule. Dabei übernehmen unterschiedliche Teilnehmer verschiedene Aufgaben: Einige kümmern sich um den Bau bestimmter Räume, andere besorgen Materialien oder übernehmen logistische Aufgaben. Durch diese Aufgabenteilung lernen Kinder und Jugendliche spielerisch, wie Teamarbeit funktioniert und wie man sich gegenseitig unterstützt. Gleichzeitig entsteht etwas, das für sie emotional bedeutsam ist, weil es mit ihrem eigenen Umfeld verbunden ist.

IK-Bau NRW: Die Ingenieurkammer Brandenburg hat bereits einen Minecraft-Wettbewerb initiiert, der das Bauingenieurwesen spielerisch vermittelt. Aktuell müssen die Teilnehmer einen Wasserturm mit begrenzten Ressourcen umgestalten, wobei die Grundstruktur erhalten bleiben soll. Wie bewerten Sie grundsätzlich solche Wettbewerbe?

Sven Radtke: Solche Wettbewerbe sind sehr sinnvoll. Klare Rahmenbedingungen helfen, gezielte Lernprozesse zu fördern. In Minecraft gibt es auch die technischen Möglichkeiten, diese Regeln durchzusetzen. Man kann beispielsweise verhindern, dass bestimmte Blöcke entfernt werden oder den Zugriff auf bestimmte Materialien beschränken.

IK-Bau NRW:Welche Altersgruppen erreicht man mit Minecraft?

Sven Radtke: Minecraft ist eines der meistverkauften Spiele weltweit und in allen Altersgruppen beliebt. Laut der JIM-Studie (Studienreihe Jugend, Information, Medien des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest) spielen 73 Prozent der 12- bis 19-Jährigen regelmäßig Videospiele, wobei Minecraft durch alle demografischen Gruppen hinweg als Favorit genannt wird, unabhängig von Schulform, Geschlecht oder Alter.

IK-Bau NRW: Minecraft ermöglicht auch den Bau von funktionierenden Schaltkreisen mit Redstone. Wie sehen Sie diesen Aspekt?

Sven Radtke:Das ist besonders spannend, weil Spieler dadurch erste Berührungspunkte mit digitaler Elektronik erhalten. Einige bauen sogar komplette Computer in Minecraft. Selbst einfache Schaltungen wie fahrende Achterbahnen oder automatische Türen bieten einen spielerischen Einstieg in technische Konzepte.

IK-Bau NRW: Welches Potenzial sehen Sie abschließend darin, digitale Spiele wie Minecraft gezielt einzusetzen, um Jugendliche für Themen aus dem Bauwesen zu begeistern?

Sven Radtke: Das wichtigste Argument ist sicherlich die Zielgruppe selbst. Man kann Jugendliche kaum besser erreichen als mit etwas, das sie ohnehin begeistert. Ich würde sagen, dass hier eine wertvolle, grundlegende Bildung möglich ist. Der inhaltliche Transfer ist definitiv gegeben – auch wenn Minecraft keine realistische Schwerkraftsimulation bietet. Doch das ist für Kinder und Jugendliche oft gar nicht relevant, möglicherweise wäre es sogar zu komplex. Minecraft vermittelt für eine jüngere Zielgruppe grundlegende Prinzipien des Planens. Wie baue ich mein Haus möglichst effizient? Wie vermeide ich spätere Umbaumaßnahmen? Setze ich temporäre Hilfskonstruktionen, um bestimmte Elemente besser platzieren zu können? Wie markiere ich diese Hilfsstrukturen, um sie später wieder gezielt zu entfernen? Darüber hinaus spielt die Zusammenarbeit eine große Rolle: Wie kommuniziere ich mit anderen, die am selben Bauprojekt beteiligt sind? Wie organisieren wir unsere Bauvorhaben gemeinsam? Minecraft bietet enormes Potenzial, um ein Gespür für das Ingenieurwesen zu entwickeln. Es ermöglicht spielerisches Lernen, ohne dass die Komplexität zu einer Hürde wird.

Das Interview führte Dr. Bastian Peiffer, Pressesprecher der IK-Bau NRW.