Am Ende des Tages muss es auch funktionieren

Am Ende des Tages muss es auch funktionieren

Lamia Messari-Becker ist Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen und Mitglied im Expertenkreis Zukunft Bau des Bundesbauministeriums. Anfang des Jahres wurde sie in den Club of Rome berufen. Messari-Becker tritt dafür ein, dass Ingenieure sich in der öffentlichen Debatte mehr zu Wort melden. Die Gesellschaft könne von der lösungsorientierten Denkweise des Berufsstandes nur profitieren.


Ingenieurkammer-Bau NRW Prof. Dr. Lamia Messari-Becker

IK-Bau NRW
Prof. Messari-Becker, wir gratulieren Ihnen herzlich zur Berufung in den Club of Rome. Welche Erwartungen verbinden Sie mit der Berufung in diesen erlesenen Kreis von Wissenschaftlern, ehemaligen Staatschefs und anderen namhaften Persönlichkeiten. Welche Schwerpunkte können und wollen Sie als Ingenieurin dort setzten?

Prof. Messari-Becker
Als Ingenieurin und Expertin für Nachhaltigkeit im Hoch- und Städtebau ist es mir ein besonderes Anliegen, Nachhaltigkeitsaspekte mit der Lebensrealität der Menschen vor Ort, mit konkreten und pragmatischen Lösungen zusammenzubringen. Mein Blick auf die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development Goals SDG’s), etwa Ressourcenschonung, Zugang zu Bildung, Energie, Wasser, Ernährung usw. ist durch meine internationale Berufserfahrung und Herkunft stark geprägt. Und global gesehen können wir in Nachhaltigkeitsfragen nur dann erfolgreich sein, wenn wir die Komplexität der Zusammenhänge akzeptieren und gemeinsam eine Sichtweise für unterschiedliche Bedürfnisse entwickeln. Der Club of Rome International ist hierfür eine starke Plattform für Austausch und Dialog – der Beginn gemeinsamen Denkens und Handelns.

IK-Bau NRW
Während Ihrer Zeit als Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen bis 2020 hat die Öffentlichkeit Sie als streitbare Wissenschaftlerin kennenlernt, die auch von der Mehrheit des Rates abweichende Meinungen deutlich artikulierte.

Prof. Messari-Becker
In 4 von insgesamt vierzehn Gutachten und Stellungnahmen vertrat ich abweichende fachliche Auffassungen. Diese gehören aber nun mal zur Wissenschaft und Politikberatung mit dazu. Die Politik darf von ihren Beratern unterschiedliche Einschätzungen erwarten. Uniformität und einheitliche Meinungen suggerieren, dass es nur „den“ einen Weg, „die“ eine Empfehlung gibt. In der Politik gibt es aber in der Regel mehrere Handlungsoptionen und Spielräume für Entscheidungen.

IK-Bau NRW
In welchen inhaltlichen Fragen gelangten Sie zu einer abweichen Meinung und warum?

Prof. Messari-Becker
Ich sprach mich etwa gegen die Ausstattung eines Generationengerechtigkeitsrates mit einem aufschiebenden Vetorecht gegen Gesetze im Parlament aus. Das halte ich für nicht vereinbar mit der parlamentarischen Demokratie, die in der Verfassung verankert ist. Es würde das Parlament schwächen. Braucht die Demokratie Reformen? Ja. Aber kennen wir ein besseres System? Nein. Meine glasklare Linie: Räte mit Vetorecht gegenüber dem Parlament darf es in einer Demokratie nie geben. Meine Rolle als Regierungsberaterin sah ich nie darin, Empfehlungen mitzutragen, die dafür geeignet sind, die parlamentarische Demokratie zu schwächen; auch wenn man Einiges an Ärger in Kauf nehmen muss. Ferner sprach ich mich gegen eine Pkw-Maut in Städten und für einen EU-CO2-Emissionshandel im Verkehrssektor aus. Mit Blick auf die kommunale Selbstverwaltung halte ich bundesweit übergeordnete Grünraumordnungspläne oder bundesweit- einheitliche Auslösewerte der Lärmaktionsplanung oder auch obligatorische Verkehrsentwicklungspläne schon für kleine Gemeinden für nicht zielführend. Ich halte vor-Ort- Lösungen, finanziell gestärkte Städtebauförderung, Abwägungsprozesse und interkommunale Kooperationen, die z.B. integrierte Mobilitätskonzepte fördern, für zielführender und praxistauglicher.

IK-Bau NRW
Als Wissenschaftlerin und Bauingenieururin beschäftigen Sie sich intensiv mit den Themen Klima und Umwelt. Wo liegen Ihrer Meinung nach in diesem Bereich für uns die größten Herausforderungen? Welchen Beitrag können die im Bauwesen tätigen Ingenieur*innen zur Lösung dieser Fragen leisten?

Prof. Messari-Becker
Eine Herausforderung sehe ich darin, den Bestand klimaneutral zu gestalten. Der Anteil des Gebäudesektors am CO 2 -Ausstoß beträgt ca. 30 Prozent, überwiegend im Bestand. Hier fallen je Altersklasse zwischen 70 bis 90 Prozent der gebäudebezogenen CO2-Emissionen an. Wollen wir also mehr Klimaschutz im Bausektor erzielen, müssen diese Schritte insbesondere im Bestand erfolgen. Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Etablierung einer ressourcenbewussten Kreislaufwirtschaft. Denn ca. 50 Prozent des Abfallaufkommens geht auf das Bauen zurück. Kreislauffähiges Bauen muss daher gezielt vorangetrieben werden. Und zwar nicht ausschließlich auf der gesetzlichen Ebene, sondern auch förderpolitisch und durch mehr ingenieurtechnische Innovationen, Stichworte Life Cycle Engineering, reversibles modulares Bauen, Recyclingtechnologie und Einsatz wiederverwendbarer Baustoffe, Bauteile etc. Der Klimaschutz braucht IngenieurInnen und Praxisbezug.

IK-Bau NRW
Mit Ihnen waren die Themen „Bauingenieurwesen und nachhaltige Stadtentwicklung“ im Umweltrat erstmalig vertreten. Die öffentliche Debatte zu Fragen des Klimawandels wird stark von Wissenschaftlern jenseits des Ingenieurwesens bestimmt. Woran liegt das Ihrer Meinung nach? Wird die Stimme der Ingenieur*innen zu wenig wahrgenommen oder melden sie sich einfach zu wenig zu Wort?

Prof. Messari-Becker
Beides. Die Politik bindet Ingenieurinnen und Ingenieure sowie Praktiker zu wenig ein und diese mischen sich zu wenig in die Debatte ein. Und Erfolge für den Umwelt- und Klimaschutz werden leider überwiegend in der Regulierung, der Besteuerung, in Verboten usw. gesehen und weniger in Innovation, Forschung, Technik. Dabei muss man das eine machen, ohne das andere zu lassen.

IK-Bau NRW
Sie fordern von den Ingenieurinnen und Ingenieuren mehr politisches Engagement auf allen Ebenen ein. Was geht Ihrer Meinung nach für das Gemeinwesen verloren, wenn zu viele Ingenieurinnen und Ingenieure die aktive Politik meiden?

Prof. Messari-Becker
Sehr viel – das ist meine Überzeugung. Technisch effiziente und ausgereifte Lösungen würden den Klimaschutz voranbringen, sei es in der Energiewende oder in den Strategien der Klimaneutralität von Gebäuden und Städten. Ingenieurinnen und Ingenieure würden mehr Praxiswissen, mehr Pragmatismus und mehr Realismus in die politischen Handlungsoptionen und Anforderungen einbringen. Am Ende würden wir pro eingesetztem Euro mehr CO2 einsparen und damit auch viel mehr Klimaschutz umsetzen als bisher. Wir sind lösungsorientiert. Und Lösung heißt für uns: Am Ende des Tages muss es auch funktionieren.

IK-Bau NRW
Welches Leitbild geben Sie heute Ihren Studierenden mit auf den Weg. Was raten Sie insgesamt jungen Menschen, die einen Berufsweg als Ingenieurin oder Ingenieur im Bauwesen anstreben?

Prof. Messari-Becker
Das schönste an diesem Beruf ist, dass man später die Ergebnisse der eigenen Arbeit sieht, ob das ein Gebäude, eine Brücke oder eine Stadt ist. Bauen heißt Gestalten. Wenn es klug erfolgt, schafft man gute Lebensräume für die Menschen. Mein Leitbild ist‚ die Haltbarkeit unseres Tuns‘ im Blick zu behalten, Stichwort nachhaltiges Bauen. Und als Regierungsberaterin freue ich mich, wenn Studierende sowie Ingenieurinnen und Ingenieuren ihr Wissen nicht ausschließlich in Büros, sondern auch in gesellschaftliche Institutionen oder in die Politik einbringen.

IK-Bau NRW
Während die Popkultur den nerdigen Engineer im Silicon Valley feiert, wenn auch mit einem Augenzwinkern, löst sich der Ingenieur in Deutschland nur langsam von seinem verstaubten Image. Wie ist diese unterschiedliche Wahrnehmung zu erklären?

Prof. Messari-Becker
Ja, das ist in der Tat leider so und ist fast eine Mentalitätsfrage und auch viel PR. Tesla setzt aber offenbar auf die deutsche Ingenieurkunst „Made in Germany“, siehe Giga-Fabrik in Brandenburg. Anderen ist eine Erzählung fern technischer Schwierigkeiten wie „kleine Reichweite“ gelungen, nach dem Motto: Man kann zwar nicht sehr lange, aber dafür sehr schnell fahren. Währenddessen hat sich unsere Automobilindustrie schwergetan. Ich hätte mir eine andere Entwicklung gewünscht. Was lernen wir daraus? „Made in Germany“ braucht Führung.

Das Interview führte Dr. Bastian Peiffer, Pressesprecher der IK-Bau NRW


Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker erhielt ihr Diplom und ihre Promotion an der Technischen Universität Darmstadt. Zwischen 2009 und 2014 arbeitete sie für ein internationales Ingenieurbüro und leitete mehrere Projekte in Österreich, Frankreich, Deutschland, Italien, den Niederlanden, Norwegen, der Schweiz, der Türkei und anderen Ländern. Messari-Beckers Engagement, Forschung und Projekte konzentrieren sich auf die nachhaltige Gestaltung von Gebäuden und Städten. Sie steht für eine ganzheitliche Sichtweise der Nachhaltigkeit in der Gebäude- und Stadtplanung und fordert eine stärkere Integration dieser Bereiche in jede Strategie der nachhaltigen Entwicklung. Die gebürtige Marokkanerin ist zweifache Mutter.