Vom Bürgerkriegsflüchtling zum Bauleiter – eine Erfolgsgeschichte

Vom Bürgerkriegsflüchtling zum Bauleiter – eine Erfolgsgeschichte

Ahmad Alomar kam im Jahr 2015 als Bürgerkriegsflüchtling nach Deutschland. Heute ist er Bauleiter und BIM-Koordinator bei HOCHTIEF Infrastructure GmbH. Sein Werdegang zeigt, was mit Einsatzwillen und Zielstrebigkeit möglich ist. Gleichwohl legt sein Beispiel auch offen, wo Fachkräfte aus dem Ausland auf Barrieren treffen: beim Zugang zu beruflichen Netzwerken und beim Spracherwerb.

João Lobão, zweiter von rechts, bei der ChallengINGDiskussion am 8.11.2023

Ahmad Alomar, ganz rechts, bei der ChallengINGDiskussion
am 8.11.2023
 

IK-Bau NRW: Wie verlief Ihr Weg in den Ingenieurberuf? Warum sind Sie Ingenieur geworden?

Ahmad Alomar: Meine Familie besitzt in Syrien eine Schreinerei und seit meiner Kindheit habe ich dort gearbeitet. Zugleich habe ich mich früh für Technik und Mathematik interessiert und da war der Ingenieurberuf naheliegend. Das Bauingenieurwesen hat in Syrien einen sehr hohen gesellschaftlichen Stellenwert und man benötigt außergewöhnlich gute Noten, um dieses Fach studieren zu können. Zudem gab es Vorbilder für mich: Nachbarn und Verwandte die Bauingenieure waren und deren Berichte mich interessiert haben. Mich hat die Idee fasziniert, eine Baustelle von Beginn an zu planen, mit vielen Menschen im Team an der Umsetzung zu arbeiten und unvorhersehbare Probleme zu lösen. Ich habe schon als Kind lieber versucht, sehr schwierige Probleme zu lösen, Routinearbeiten fand ich eher abschreckend.

IK-Bau NRW: Wann und unter welchen Umständen haben Sie Syrien verlassen?

Ahmad Alomar: Ich hatte schon vor Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien den Wunsch, in Deutschland zu studieren. Allerdings wäre dies aus eigenen finanziellen Mitteln nicht möglich gewesen. Deshalb sah ich in einem Stipendium die Chance, meinen Traum zu erfüllen. Mir war klar, dass dieser Traum nur mit Bestnoten in Reichweite sein würde und entsprechend viel Arbeit habe ich in mein Studium investiert. Dann musste ich wegen des Krieges das Studium in Syrien abbrechen. Eine Möglichkeit nach Deutschland zu gelangen, bot sich zunächst nicht und so war ich froh, auf Zypern in zwei Jahren mein Bachelorstudium beenden zu können. Dann ergab sich für mich jedoch die Möglichkeit, als Bürgerkriegsflüchtling nach Deutschland zu kommen.

IK-Bau NRW: Wann sind Sie nach Deutschland gekommen?

Ahmad Alomar: Ich bin dann im November 2015 nach Deutschland gekommen über die Türkei und Griechenland und von dort aus über die Balkanroute.

IK-Bau NRW: Wie verlief ihr Start in Deutschland?

Ahmad Alomar: Mein erster Schritt hier war die Anerkennung meiner Zeugnisse. Das ging relativ unproblematisch, meine Zeugnisse aus Syrien hatte ich bereits auf Zypern ins Englische übersetzen lassen und meine Zeugnisse aus Zypern waren sowieso in englischer Sprache verfasst. Das reichte für die Anerkennung hier in Deutschland.

IK-Bau NRW: Wie ging es dann für Sie weiter?

Ahmad Alomar: Im ersten Jahr hier konnte ich leider noch kein Studium beginnen, habe die Zeit aber genutzt, um weiter Deutsch zu lernen. Aber die mehr oder weniger verlorene Zeit hat mich schon geärgert. Im Oktober 2016 habe ich in Bochum das englischsprachige Masterstudium Computational Engineering begonnen. Für ein deutschsprachiges Studium reichten meine Sprachkenntnisse damals noch nicht aus.

IK-Bau NRW: Wie haben Sie trotz der anfänglichen Sprachbarriere den Sprung in den Arbeitsmarkt geschafft?

Ahmad Alomar: Noch vor dem Start des Masterstudium konnte ich auf Minijobbasis bei einem Bauunternehmen anfangen. Dort gab es viel Fleißarbeit, die ich auch mit überschaubaren Sprachkenntnissen erledigen konnte. Außerdem habe ich sehr schnell dazugelernt und meine Aufgaben wurden schnell vielfältiger. Noch wichtiger als die eigentliche Arbeit war die Kommunikation mit den Kollegen. So konnte ich meine Sprachkenntnisse verbessern. Weil ich mit Computern und Technik immer schon recht fit war, konnte ich manchen Kollegen helfen, die sich hier schwerer taten. So habe ich angefangen, die Arbeitsabläufe zu verstehen, also wie ist das mit den Plänen, wie verläuft der Genehmigungsprozess, wie der Bauprozess. Nach zwei Jahren waren meine Deutschkenntnisse ausreichend, um in Vollzeit zu arbeiten. Ich war dann an vier Tagen in der Woche im Büro und an den restlichen Tagen habe ich mein Studium abgeschlossen. Das war nicht leicht. Aber ich wollte unbedingt finanziell auf eigenen Füßen stehen.

IK-Bau NRW: Wie haben Sie die Stelle bei Ihrem ersten Arbeitgeber gefunden?

Ahmad Alomar: Ich hätte diese Stelle niemals ohne die Hilfe einer Flüchtlingshelferin bekommen, einer sehr netten und engagierten Rechtsanwältin. Sie hat mich und andere Bürgerkriegsflüchtlinge bei sehr vielen Dingen unterstützt, wie z. B. bei der Anerkennung von Studienleistungen. Diese Rechtsanwältin hat uns auch gezeigt, wie man ein Anschreiben verfasst und wie ein Bewerbungsprozess abläuft. Sie hat dann auch den Erstkontakt zu meinem damaligen Arbeitgeber hergestellt und für mich dort die Tür geöffnet und sie hat mich auch bei meinem Bewerbungsgespräch begleitet.

IK-Bau NRW: Welche Maßnahmen können Ingenieurbüros ergreifen, um den Einstellungsprozess für Fachkräfte mit Einwanderungsgeschichte zu erleichtern?

Ahmad Alomar: Es braucht sicherlich eine Eingewöhnungszeit, in der Fachkräfte aus dem Ausland vielleicht nicht sofort eine Verstärkung sind, aber die nötige Zeit erhalten, sich in die Fachsprache und die neuen Arbeitsprozesse einzufinden.

IK-Bau NRW: Wie haben Sie den Spracherwerb gemeistert?

Ahmad Alomar: Vor allem sollte man die Arbeit selbst immer auch als Sprachkurs begreifen. Es hilft sehr, die Kollegen im Berufsalltag zu hören und mit ihnen zu kommunizieren. Wenn ich E-Mails lese, neue Worte übersetze und diese Wörter lerne, ist das eine Art Sprachkurs. Auch wenn die Kollegen mich korrigieren, hilft mir das weiter. Wichtig ist, sich jedes neue Wort zu notieren und das dann im Nachgang auch wirklich zu lernen.

IK-Bau NRW: Welche Tipps geben Sie Ingenieurinnen und Ingenieure, die in Deutschland arbeiten möchten?

Ahmad Alomar: Wenn man den Wunsch hat, in Deutschland zu arbeiten, sollte man möglichst früh beginnen, Deutsch zu lernen und sich auch die Fachsprache anzueignen. Man sollte versuchen, sich mit dem Regelwerk und der Arbeitsweise vertraut machen und man sollte sich darauf einstellen, dass es eine Übergangszeit braucht. In dieser Zeit ist es ratsam, vor allem "Fleißaufgaben" zu übernehmen, die noch keine großen Sprachkenntnisse erfordern. Man sollte diese Zeit aktiv nutzen, um möglichst viel von den neuen Kollegen zu lernen.

Das Interview führte Dr. Bastian Peiffer, Pressesprecher der IK-Bau NRW.