„Deutschland muss wieder Champion werden im nachhaltigen Bauen“

„Deutschland muss wieder Champion werden im nachhaltigen Bauen“

Der Gebäudesektor ist für rund 40 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich. 50 Prozent dieser Emissionen werden dabei laut einer Studie der DGNB vor der Nutzung des Gebäudes erzeugt. Bau– und Abbruchabfälle machen zudem 55 Prozent des Abfallaufkommens in Deutschland aus. Ein elementarerer Schritt zur Lösung dieser Probleme wäre der Übergang von einer linearen zur zirkulären Bauwirtschaft. Es gibt vielversprechende Ansätze, wie zum Beispiel die neu geschaffene DIN SPEC 91484, die einen Standard für ein „Verfahren zur Erfassung von Bauprodukten als Grundlage für Bewertungen des Anschlussnutzungspotentials vor Abbruch- und Renovierungsarbeiten“ fixiert. Wir haben mit Dominik Campanella, einem der Mitinitiatoren der DIN SPEC und Mitgründer und Geschäftsführer von Concular, einem Unternehmen für kreislaufgerechte Immobilien gesprochen.

Dominik Campanella
Dominik Campanella

IK-BAU NRW: Könnten Sie uns kurz etwas über Ihren Hintergrund und Ihre Rolle bei der Entwicklung des DIN SPEC 91484 berichten?

Dominik Campanella: Ich bin Mitgründer und Geschäftsführer von Concular, einem führenden Unternehmen für kreislaufgerechte Immobilien. Dabei komme ich ursprünglich nicht aus der Baubranche, sondern aus dem Bereich Informatik und Betriebswirtschaft. Ich habe einige Jahre für Google gearbeitet und konnte quasi von außen auf die Baubranche blicken. Ich habe mich aber schon früh mit dem Thema Bauen beschäftigt und dann im Jahr 2012 gemeinsam mit anderen mit Restado einen Marktplatz für zirkuläre Baustoffe und 2019 dann Concular gegründet. Mit Concular wollen wir ein digitales Ökosystem für zirkuläres Bauen schaffen. Mit der DIN SPEC 91484 haben wir im Prinzip den Prozess, den wir seit Jahren mit Concular umsetzten, als offenen Standard fixiert.


IK-BAU NRW: Was genau ist die DIN SPEC 91484, wer hat sie mit welchem Ziel formuliert?

Dominik Campanella: Heute kann ein Gebäude in Deutschland in der Regel ohne Abbruchgenehmigung einfach abgerissen werden. Das ist zunächst problematisch, weil ein Abbruch oft gar nicht nötig wäre. Ist der Abbruch aber unvermeidbar, werden hochwertige Baumaterialien minderwertig downcycelt oder landen gleich auf der Deponie. Das passiert, weil wir nicht wissen, welche Baumaterialien in dem Gebäude gebunden sind. Wenn das Abbruchunternehmen kommt, ist es zu spät. Dann hat man keine Zeit mehr, die Baumaterialien zu sichten und alternative Verwendungs- und Verwertungswege zu finden? Wir wollen aber viel früher wissen, was ist in Gebäuden drin und was kann man mit diesen Baumaterialien noch machen. Nach dieser Idee haben wir Concular aufgebaut und dieses Prinzip sollte verpflichtend für die gesamte Branche werden. Dazu sind wir den Weg der DIN SPEC gegangen, die etwas weniger formalistisch als die DIN-NORM ist und vor der Norm zunächst einen Standard setzt. Gestartet sind wir im letzten Oktober mit rund 30 anderen Branchenakteuren, da reden wir von führenden Bauunternehmen, Universitäten, aber auch Herstellern von Baumaterialien und beispielsweise Schadstoffprüfungs-Gesellschaften und haben gemeinsam die DIN SPEC 91484 über fast ein Jahr entwickelt. In der DIN SPEC ist geregelt, wie ich vor einem Rück- oder Umbau Baumaterialien verzeichnen und prüfen mit diese wiederverwendet werden können. Wir wollen, dass diese Regeln verpflichtend werden auf der Ebene der Länder und des Bundes für öffentliche und private Rückbauten.


IK-BAU NRW: Was regelt die DIN SPEC? Was regelt sie nicht?

Dominik Campanella: Die DIN SPEC beschreibt den Prozess, wann und wie wir Baumaterialien vor Rück- und Umbauarbeiten erfassen und auf ihre Wiederverwendbarkeit prüfen. Aber sie regelt noch nicht, was eine hochwertige Anschlussnutzung sein könnte. Das bedeutet, der durch die DIN SPEC standardisierte Prozess sagt nicht, was kann ich mit einem Holzbalken machen. Er sagt aber: Das ist ein Holzbalken, er besitzt ein bestimmtes Maß, er ist auf eine bestimmte Art und Weise verbaut und er hat ein hohes oder auch nur niedriges Potenzial zur Wiedernutzung.


IK-BAU NRW: Die Anforderungen an die handelnden Akteure nennt als Voraussetzung das DQR-Niveau 6 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Wenn ich das richtig verstehe, bedeutet dies einen Bachelor in einer einschlägigen Fachrichtung. Reicht das Ihrer Meinung nach aus, um sicherheitsrelevante Bauteile rezertifizieren zu dürfen. Die EU-Kommission hat bereits 2018 Vorschläge formuliert, wie zukünftig Circular Engineers oder aber qualifizierte Bauwerksprüfer und Bauwerksprüferinnen oder öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige in ihrem jeweiligen Fachgebiet über eine ergänzende Schulung oder Qualifizierung zum Thema Circular Economy, für eine Rezertifizierung sorgen können. Ist die Qualifikation der beteiligten Personen nicht ein Schlüssel zur allgemeinen Akzeptanz der DIN SPEC? Wie sehen Sie das?

Dominik Campanella: Das ist ein wichtiger Aspekt. Zunächst war uns wichtig, mit der DIN SPEC schnell weite Verbreitung zu finden. Damit ist aber klar, dass dort nicht alles abschließend geregelt werden kann. Oft werden Baumaterialien in anderen Projekten desselben Bauunternehmens wiederverwendet und in internen Prozessen rezertifiziert. Die DIN SPEC bietet auch den Herstellern eine gute Basis, auf der sie ihre Materialien zurückzunehmen, rezertifizieren und wieder am Markt anbieten können. Bei der Beurteilung tragender Bauelementen wie Stahlträgern arbeiten wir bei Concular mit staatlich-anerkannten Sachverständigen zusammen.


IK-BAU NRW: Wenn Concular mit staatlich anerkannten Sachverständigen kooperiert, weist das sicher in die richtige Richtung. Aber wer sagt, dass das ein Wettbewerber morgen nicht anders und vielleicht mit weniger Aufwand macht?

Dominik Campanella: Man muss unterscheiden zwischen statisch relevanten und den übrigen Bauteilen. Bei statisch relevanten Bauteilen muss man auf jeden Fall noch einmal mehr draufschauen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ein Bauherr einen Stahlträger von jemandem prüfen lässt, der offensichtlich nicht dafür qualifiziert ist. Wir reden hier von immensen Risiken, für Leib und Leben, aber auch finanziell. Im Übrig ist wichtig; solange es für die Rezertifizierung gebrauchter Bauteile keine DIN-Normen gibt, sind die Normen anzuwenden, die für neue Materialien gelten.


IK-BAU NRW: Wie sehen Sie die Chancen für eine breite Akzeptanz und Integration dieses Standards in der Bauindustrie?

Dominik Campanella: Es gibt natürlich die Befürchtung, dass mit der Bestandsaufnahme eines Gebäudes Kosten entstehen. Aber erst, wenn ich weiß, was in einem Gebäude verbaut ist, kann ich das Material auch wieder verkaufen, statt nur Geld für die Deponierung zu zahlen. Das Gebäude wird damit zur Rohstoffquelle und sein Wert steigt. Dazu kommt noch der gesamte positive Effekt für die Umwelt. Der Bausektor ist einer der größten Emittenten von CO2 und für den Großteil des Abfalls verantwortlich. Nur mit einer funktionierenden zirkularen Kreislaufwirtschaft gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma. Also sehen wir, dass zum Beispiel das Land Berlin den Prozess der DIN SPEC schon übernommen hat für den Rückbau öffentlicher Gebäude, und Länder wie Hamburg oder Baden-Württemberg die Regeln gerade sehr genau anschauen. Wir erhalten positives Feedback aus dem Bundesbauministerium und wir sehen, dass viele Bauherren den Prozess schon freiwillig nutzen, weil es ja nicht nur gut für die Umwelt ist, sondern eben auch einen monetären Mehrwert bringt.


IK-BAU NRW: Wie hängen nachhaltiges Bauen und die Digitalisierung zusammen?

Dominik Campanella: Die Digitalisierung ist der Schlüssel für die Nachhaltigkeit in der Baubranche. Auch die DIN SPEC lässt sich effizient nur digital umsetzten. Aber das Kernproblem ist ein anderes: Wenn wir bauen, werden die verbauten Materialien nicht zentral gespeichert. Wir reden seit Jahren über einen Gebäude-Ressourcen-Pass. Jetzt wird das Thema im Bundesbauministerium in einer Arbeitsgruppe auch mit uns diskutiert. Trotzdem kann es noch Monate oder Jahre dauern, bis der Pass Wirklichkeit wird. Wird ein Gebäude gebaut und weiß nach einem Jahr niemand mehr, welche Materialien verbraucht wurden. Das führt zu einer großen Ineffizienz, weil der Rückbau so aufwendig und teuer wird. Deswegen ist die Digitalisierung so wichtig, deshalb ist die Planung mit BIM grundlegend. Bei Concular kann man heute bereits ein BIM-Modell hochladen und Parameter für das Recycling und den Reuse-Anteil im Gebäude vorgeben. Unsere Software optimiert die Gebäudepläne dann basierend auf den Parametern oder auch nach bestimmten Regularien von Zertifikaten wie DNB oder QNG. Ohne BIM wäre das nicht möglich.


IK-BAU NRW: Die Veröffentlichung der DIN SPEC ist ein erster Schritt. Welche weiteren Schritte sind aus Ihrer Sicht nötig, um die Kreislaufwirtschaft im Bauwesen in Deutschland und in Europa flächendeckend zu etablieren?

Dominik Campanella: Ich glaube, es fehlen noch ein paar Puzzleteile. Das Thema ist so komplex, weil es an verschiedenen Ebenen hängt. Aber die DIN SPEC ist ein guter Start. Andere Länder in Europa sind da auch deutlich weiter als wir. Mit der DIN SPEC fixieren wir nur, was anderswo bereits selbstverständlich ist. Wichtig ist, dass wir die Akzeptanz für die Wiederverwendung von Baumaterialien erhöhen. Das hat viel mit den Themen Gewährleistung und Rezertifizierung zu tun. Hier hilft vielleicht auch die Reform der Bauproduktenverordnung, die gerade auf EU-Ebene diskutiert wird. Darüber hinaus sollten wir auch Anreize setzen, zum Beispiel über die Zertifizierung von Gebäuden. Für die Verwendung gewonnener Materialien sollte die Punktzahl sehr hoch sein. Hier hilft vielleicht der Blick nach Frankreich. Dort gibt es Vorgaben, wie viel CO2 man in der Bauphase pro Quadratmeter emittieren darf, ohne dabei bestimmte Baustoffe vorzuschreiben. Weil wiederverwerte Bauteile dabei einen erheblichen Vorteil in der Bilanzierung bringen, ist der Markt für wiedergewonnene Bauteile dort förmlich aufgeblüht. Deutschland war in den Neunzigern vorn beim nachhaltigen Bauen. Jetzt, 2023, ist Deutschland hintendran im europäischen Vergleich und Deutschland muss wieder Champion werden im nachhaltigen Bauen und da gibt es viele Schritt die wir jetzt machen müssen und es gibt zum Glück viele, auch die Ingenieur*innen, die sich dafür einsetzen.

Das Interview führte Dr. Bastian Peiffer, Pressesprecher der IK-Bau NRW


Dominik Campanella ist der Mitgründer und Geschäftsführer von restado und Concular. Mit restado hat er seit 2012 den größten Marktplatz für wiedergewonnene Baustoffe in Europa gebaut. Seit 2020 bietet er mit Concular eine professionelle Lösung für zirkuläres Bauen für die professionellen Akteure in der Bau- und Immobilienbranche an. Dabei setzt er sich stark für die Einführung von zirkulären Bauen als Standard ein. Unter anderem ist er Mitglied des Fachausschuss für Zirkuläres Bauen des DGNB, der Expert Group for Circular Construction der EU Kommission und auch Initiator sowie Konsortialleiter der DIN SPEC 91484 - dem ersten Standard für zirkulären Bauen.