23.07.2024

Gebäudetyp E – Einheitliche Standards sind wichtig, dürfen aber kein Selbstzweck sein!

Gebäudetyp E – Einheitliche Standards sind wichtig, dürfen aber kein Selbstzweck sein!

Auf Anregung der Bundesarchitekten- und Bundesingenieurkammer hat das Bundesjustizministerium einen Entwurf für die Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) unter dem Stichwort Gebäudetyp E vorgelegt. Durch die Änderungen wird zu den allgemein anerkannten Regeln der Technik eine Vermutungsregelung eingeführt, dass diese nur noch sicherheitstechnische Festlegungen von Gebäuden umfassen. Damit werden die Anforderungen an Gebäude per Gesetz reduziert und die Haftung von Ingenieurinnen und Ingenieuren für unübersichtliche Regelwerke begrenzt.

Die Ingenieurakademie West bietet zu diesem Thema am 18.11.24 ein Seminar an:

Gebäudetyp E - Aktuelle Rechtslage und Perspektive


Nach einer aktuellen Meldung des Statistischen Bundesamtes wurde im Mai 2024 in Deutschland der Bau von 17.800 Wohnungen genehmigt. Im Vergleich zum Vorjahresmonat Mai 2023 war dies ein Rückgang von 24,2 % (5.700 Baugenehmigungen weniger); im Vergleich zu Mai 2022 beträgt der Rückgang sogar 43,9 % (13.900 Baugenehmigungen weniger). Die Statistik erfasst Baugenehmigungen für Wohnungen in neuen Wohn- und Nichtwohngebäuden als auch für neue Wohnungen in bestehenden Gebäuden. Das erklärte Ziel der Bundesregierung und auch der Landesregierung NRW ist die Schaffung von mehr (bezahlbarem) Wohnraum. Die Zahlen zeigen jedoch eine deutlich gegenläufige Entwicklung und die Statistik bezieht sich auf Baugenehmigungen: Was heute nicht geplant und nächste Woche nicht genehmigt wird, kann im Anschluss nicht gebaut und danach nicht bezahlbar bewohnt werden. Es ist also zu erwarten, dass die Zahlen noch schlechter werden können, wenn nicht gute Ideen zu einer Trendwende führen können.

Die Gründe für die rückläufige Wohnraumschaffung sind, wie wir alle wissen, vielfältig. Neben den gestiegenen Kosten für Grundstück und Baustoffen sowie verlässlichen Förderbedingungen sind auch die technischen Anforderungen an Gebäude ein wichtiger Faktor, die das Bauen verteuern. In den Bauordnungen der Länder sind Technische Baubestimmungen vorgesehen, nach denen sich bemisst, welche Anforderungen ein Gebäude erfüllen muss, um genehmigt zu werden. Die Ingenieurin oder der Ingenieur hat also ein fest definiertes Regelwerk, welches man kennen und prüfen muss. Über sicherheitsrelevante Bestimmungen hinaus gibt es jedoch auch noch eine Vielzahl von Komfort-Normen. Beispiele sind die Frage, ob erhöhte Schallschutzanforderungen erfüllt werden sollen oder aber wie viele Steckdosen nach der DIN 18015-2 in einem Raum verbaut sein müssen.

Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW

„Einheitliche Standards sind grundsätzlich sinnvoll, allerdings dürfen sie kein Selbstzweck sein. Natürlich muss ein Gebäude standsicher sein und die Anforderungen an den Brandschutz müssen eingehalten werden. Hingegen ist die Anzahl der Steckdosen am Ende eine Frage der Baukosten, des Kaufpreises bzw. der Miete. Für die Bauherrschaft, Käufer und Mieter stellt sich aber inzwischen häufig nicht mehr die Frage, wie viel mehr Komfort sie sich leisten wollen, sondern, ob sie sich ein Haus oder eine Wohnung überhaupt noch leisten können“, so Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW. Dazu haben die bestehenden Gesetze und Gerichtsentscheidungen wesentlich beigetragen.

Die Rechtsprechung geht davon aus, dass über die Technischen Baubestimmungen hinaus die Planenden bei ihrer Planung die allgemein anerkannten Regeln der Technik schulden. Anders als bei den Technischen Baubestimmungen handelt es sich dabei jedoch nicht um einen festen Katalog. Vielmehr entscheidet ein Gericht im Einzelfall, ob es sich bei der jeweiligen Anforderung, schon, noch oder nicht mehr um eine allgemein anerkannte Regel der Technik handelt. Nun könnte man annehmen, dass die DIN-Normen solche Regeln der Technik sind, da sie von einer Normungsorganisation herausgegeben werden, in die der Staat Vertrauen setzt. Aber Gerichte haben inzwischen mehrfach entschieden, dass DIN-Normen dann keine anerkannten Regeln der Technik sind, wenn sie z.B. nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen– unabhängig davon, ob sie weiterhin gelten oder nicht. Eine Ingenieurin bzw. ein Ingenieur können also auch dann falsch planen, wenn sie bzw. er alle DIN-Normen einhält.

Selbst dann, wenn Planende die Auffassung vertreten, dass sie auf Wunsch oder im Interesse der Bauherrschaft von den allgemein anerkannten Regeln der Technik abweichen würden, kann dies dazu führen, dass sie für die Nicht-Einhaltung der Bestimmungen haften müssen. Dies gilt selbst dann, wenn nachweislich kein Schaden entstanden ist, einfach deswegen, weil eben die Regeln der Technik nicht eingehalten wurden. In einem Beispiel plante ein Architekt ein Mehrfamilienhaus mit Tiefgarage. Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten musste die Rampe zur Tiefgarage mit einem Gefälle von 24 % statt 15 % geplant werden und auf 24 cm hatte die Rampe eine Breite von 2,50 m statt 2,75 m. Durch eine mitgeplante temperatur- und feuchtigkeitsgeregelte Rampenheizung war gewährleistet, dass die Rampe selbst mit Oberklassefahrzeugen bei allen Witterungsverhältnissen problemlos befahren werden konnte und entsprechend wurde das Vorhaben auch genehmigt. Das Oberlandesgericht Koblenz (Az. 1 U 1473/20) entschied jedoch, dass der Architekt für die Abweichungen trotz Baugenehmigung und keiner feststellbaren Funktionseinbußen haften muss. Vielmehr hätte der Architekt bezüglich der zu erwartenden Folgen für die tatsächlichen Benutzbarkeit aufklären und dies auch dokumentieren müssen.

Hier setzen die Überlegungen für den neuen Gebäudetyp E an: Eine mögliche Änderung des BGB unter dem Stichwort „Gebäudetyp E“ ist dabei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Für die allgemein anerkannten Regeln der Technik gilt künftig eine Vermutung: Sofern nichts anderes vereinbart ist, wird vermutet, dass die von den Planenden geschuldeten allgemein anerkannten Regeln der Technik nur sicherheitstechnische Festlegungen umfassen. Umgekehrt wird vermutet, dass bautechnische Normungen, die reine Ausstattungs- und Komfortmerkmale abbilden, keine anerkannten Regeln der Technik sind. Die Bauherrschaft kann sich also auch in Zukunft weiterhin darauf verlassen, dass ein Gebäude sicher geplant und errichtet wird. Darüber hinaus ist sie aber frei, den Komfort für ihre Immobilie zu wählen. Ändern wird sich hingegen, dass Gebäude nicht mehr automatisch alle Ausstattungs- und Komfortmerkmale erfüllen müssen. In der Folge können die Baukosten spürbar sinken.

Für den Fall, dass Abweichungen von allgemein anerkannten Regeln der Technik erforderlich sind, ist zudem eine Änderung geplant, nach der eine Aufklärung über Risiken und Folgen zwischen fachkundigen Unternehmen nicht mehr erforderlich ist. Bei der Planung für einen Bauträger müssen Planende, wenn sie von allgemein anerkannten Regeln der Technik abweichen, nicht mehr auf mögliche Folgen hinweisen. Gegenüber Verbrauchern bleiben die Aufklärung und deren Dokumentation hingegen weiterhin erforderlich.

Die vom Bundesjustizminister vorgeschlagene Änderung des BGB zeigt, dass das Thema in der Politik ernst genommen wird und die von den Planerorganisationen benannten Probleme aus der Praxis angegangen werden. Ergänzend erarbeitet das Bundesbauministerium aktuell eine Leitlinie und Prozessempfehlung zum Einfachen Bauen nach dem Gebäudetyp E. Die Ingenieurakademie West wird in Kürze eine Informationsveranstaltung zu dem Thema anbieten.


Weitere Informationen

Pressemeldung Baugenehmigungen für Wohnungen im Mai 2024

Meldung der Bundesingenieurkammer

Die Ingenieurakademie West bietet zu diesem Thema am 18.11.2024 ein Seminar unter dem Titel „Gebäudetyp e - Aktuelle Rechtslage und Perspektive“ an. Weitere Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier.