04.12.2025

Die Folgen des Klimawandels sind längst im planerischen Alltag angekommen – dieser Ausgangspunkt prägte die IngenieurImpulse 2025 der Ingenieurkammer-Bau NRW in der Henrichshütte Hattingen. Unter dem Titel „Klimaresilient planen und bauen - Quartiere zwischen Starkregen und Hitzestress“ diskutierten Prof. Dr.-Ing. Nina Altensell (Uni Bielefeld/Campus Minden, Lehrgebiet Siedlungswasser- und Kreislaufwirtschaft), Viola Schulze Dieckhoff (Leiterin Klima, Luft und Lärm im Umweltamt der Stadt Dortmund) und Timo Schröder (Founder & Co-CEO des Start-ups rehub) mit Moderator Ralph Erdenberger (WDR) vor einem Fachpublikum aus Ingenieurinnen und Ingenieuren.
Starkregen als Gegenwart – und die Lehren aus Bedburg-Kaster
Zu Beginn machte der Moderator deutlich, dass Starkregenereignisse kein abstraktes Zukunftsszenario mehr sind. Anhand eines Ereignisses im Erftkreis mit rund 180 Litern Regen pro Quadratmeter in wenigen Stunden wurde sichtbar, wie neue Wohngebiete massiv betroffen sein können – trotz vermeintlich moderner „Ressourcenschutzsiedlung“. Prof. Altensell ordnete dieses Beispiel fachlich ein. Sie verwies darauf, dass Starkregen ein natürliches Phänomen sei, durch den Klimawandel aber häufiger und intensiver auftrete. In Nordrhein-Westfalen stünden mittlerweile landesweite Starkregengefahrenhinweiskarten zur Verfügung. Diese Karten zeigten im besprochenen Fall im Rhein-Erft-Kreis bereits im Vorfeld über zwei Meter mögliche Wassertiefe in der Senke des Baugebietes sowie ein kleines Gewässer direkt hinter der Siedlung. Aus ihrer Sicht hätte der Hinweischarakter dieser Karten stärker in die Planung einfließen müssen. Sie betonte, dass vorangegangene Nutzungen, etwa ein Fußballplatz, der Fläche für Wasser bereitstellt, vielfach zugunsten dichter Bebauung aufgegeben werden. Damit gingen gerade jene multifunktionalen Flächen verloren, die heute als zentrales Instrument der Überflutungsvorsorge empfohlen werden.
Kommunale Strategien: Dortmund zwischen Karte, Konzept und Konflikt
Viola Schulze Dieckhoff beschrieb, wie eine Großstadt wie Dortmund versucht, auf Starkregen und Hitze systematisch zu reagieren. Dortmund verfüge über Starkregengefahrenkarten, Bedarfskarten für starkregenrelevante Flächen, Rückhaltebecken und eine Vielzahl von Konzepten, etwa zur Wasserhaushaltsbilanz in Planverfahren oder zur Hitzebelastung in besonders betroffenen Quartieren. Sie machte deutlich, dass Klimaanpassung in der kommunalen Praxis immer eine Querschnittsaufgabe sei: Umweltamt, Tiefbau, Stadtgrün, Verkehrsplanung und Städtebau müssten zusammenarbeiten, oft mit unterschiedlichen Zielkonflikten – von Straßenbreiten über Dachformen bis hin zur Frage, wie viel Raum dem Auto zugestanden wird. Auch bei ambitionierten Standards – etwa Energie- und Begrünungsvorgaben für Neubaugebiete – seien intensive Aushandlungsprozesse mit Investorinnen und Investoren die Regel. Schulze Dieckhoff verwies außerdem auf die kommunale Wärmeplanung und den Aufbau eines „One Stop Shop“ als Beratungsstruktur. Ziel sei es, Eigentümerinnen und Eigentümer im Gebäudebestand von der Erstberatung über Finanzierung bis zur handwerklichen Umsetzung zu begleiten und gleichzeitig Fachöffentlichkeit, Stadtgesellschaft und besonders betroffene Gruppen adressiert zu informieren.
Digitale Planung, Daten und Geschäftsmodelle
Aus der Perspektive digitaler Planung schilderte Timo Schröder, dass viele Bauvorhaben nach wie vor wie Prototypen behandelt würden, obwohl sich insbesondere im Wohnungsbau Typologien stark ähneln. Serielle Ansätze, unterstützt durch BIM, Algorithmen und Künstliche Intelligenz, könnten nach seiner Einschätzung Materialeinsatz und Bauzeiten reduzieren und gleichzeitig klima- und kreislaufgerechte Lösungen systematisch mitdenken. Er verwies darauf, dass aktuelle Geschäftsmodelle vieler Projektentwickler vor allem auf Baurechtschaffung und anschließenden Verkauf an Fonds ausgerichtet seien. Langfristige Aspekte wie Klimaresilienz, Dachbegrünung oder kreislaufgerechte Konstruktionen fänden in Wirtschaftlichkeitsberechnungen selten statt. Zugleich seien Datenverfügbarkeit und -standards ein Engpass: Ohne gut zugängliche Kataster- und Umgebungsdaten sei eine durchgängig digitale, vergleichende Planung erheblich erschwert. Schröder machte deutlich, dass die Technik bereits heute in der Lage sei, Varianten zu berechnen, die energetische Performance, Überflutungsrisiken und Aufenthaltsqualität berücksichtigen. Entscheidend sei, diese Werkzeuge in frühen Phasen der Projektentwicklung anzuwenden, in denen bislang aus Kostendruck und Risikoabwägung nur begrenzt geplant werde.
Stimmen aus der Praxis: Zwischen Überforderung und Aufbruch
Aus dem Publikum kamen mehrere Beiträge, die die Lage in kleineren und mittleren Kommunen beschrieben. Ingenieurbüros wiesen darauf hin, dass vielerorts weder klare kommunale Vorgaben noch abgestimmte Konzepte für klimaresiliente Bauleitplanung existierten. Teilweise stünden in Stellungnahmen zum gleichen Bebauungsplan Empfehlungen für Gründächer neben Forderungen nach traditionell dunklen Dacheindeckungen. Vertreter aus kleineren Kommunen äußerten Zweifel daran, ob die selbst gesetzten Klimaneutralitätsziele der Kommunen in der gegebenen Geschwindigkeit überhaupt erreichbar seien. Gleichzeitig wurde berichtet, dass fachliche Angebote zur Mitarbeit vor Ort oftmals nicht aufgegriffen würden. Andere Stimmen betonten positive Beispiele: Städte wie Dortmund, Herten, Wuppertal oder Quartiere am Phoenix-See wurden als Belege dafür genannt, dass blau-grüne Infrastruktur, Regenrückhalt und hohe Aufenthaltsqualität erfolgreich kombiniert werden können. Mehrfach wurde gefordert, solche gelungenen Projekte stärker in den Vordergrund zu stellen, anstatt ausschließlich auf Schadensfälle zu blicken.
Bäume, Denkmalschutz und Aufenthaltsqualität
Ein wiederkehrendes Motiv der Diskussion waren Stadtbäume und Grünstrukturen. Altensell hob hervor, dass ältere Bäume ein enormes Kühlpotenzial besäßen, in Städten jedoch selten ein hohes Alter erreichten. Ursachen seien Platzmangel, Salzbelastung, Beschädigungen und unzureichende Baumstandorte. Es wurde auf technische Empfehlungen zur Verbesserung von Wurzelraum, Substraten und Wasserzufuhr verwiesen.
Gleichzeitig wurden Denkmalschutzvorgaben als Hürde beschrieben, wenn etwa historisches Pflaster die Entsiegelung und Begrünung zentraler Plätze erschwere – obwohl diese Flächen im Alltag vor allem als Parkraum genutzt würden. Aus der Runde wurde angeregt, mobile Begrünung oder temporäre Maßnahmen zu erproben, um Aufenthaltsqualität zu erhöhen und Erfahrungswissen zu sammeln.
Mehrere Beiträge machten deutlich, dass es in verdichteten Innenstädten um das Austarieren vieler Ansprüche gehe: Brandschutz, Veranstaltungen im öffentlichen Raum, Parken, Denkmalschutz und Klimaanpassung stünden nebeneinander. Gleichzeitig wurde betont, dass Aufenthaltsqualität – insbesondere unter Hitzeaspekten – stärker als leitendes Ziel verstanden werden sollte.
Bühne, Brücke und Verstärker
Die IngenieurImpulse 2025 haben gezeigt, dass klimaresiliente Quartiere nur im Zusammenspiel vieler Akteurinnen und Akteure entstehen: Wissenschaft, kommunale Verwaltung, Start-ups, private Investorinnen und Investoren sowie die Ingenieurinnen und Ingenieure der Planungspraxis bringen jeweils eigene Perspektiven, Zwänge und Lösungsvorschläge ein.
Die Ingenieurkammer-Bau NRW schafft mit diesem Format einen Rahmen, in dem diese Perspektiven offen aufeinandertreffen können, jenseits von Projekt- und Behördenlogik. Sie ermöglicht Fortbildung, gibt Raum für kritische Nachfragen aus dem Berufsstand und macht sichtbar, dass Ingenieurinnen und Ingenieure nicht nur „Problemlöser im Detail“, sondern wichtige Mitgestalterinnen und Mitgestalter klimaresilienter Städte und Quartiere sind.


