13.12.2023

Erfolgreiche Premiere in Siegburg: Fachtagung Nachhaltiges Bauen

Erfolgreiche Premiere in Siegburg: Fachtagung Nachhaltiges Bauen

Fünf große Kippsysteme laufen Gefahr, bereits bei der derzeitigen globalen Erwärmung ihren jeweiligen Kipppunkt zu überschreiten: Konkret sind dies der grönländische und der westantarktische Eisschild, die subpolare Wirbelzirkulation im Nordatlantik, die Warmwasserkorallenriffe und einige Permafrost-Gebiete. Steigt die globale Erwärmung auf 1,5 °C an, könnten mit den borealen Wäldern, den Mangroven und Seegraswiesen drei weitere Systeme in den 2030er Jahren bedroht sein. Diese alarmierende Meldung, erarbeitet von weltweit 200 Forschenden, ging am 6. Dezember als wichtigste Botschaft des sogenannten „Global Tipping Points Report“ von Dubai aus um die Welt und sie setzte auch den Rahmen für die rund 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fachtagung Nachhaltiges Bauen der Ingenieurakademie West, dem Fortbildungswerk der Ingenieurkammer-Bau NRW vor Ort, im Rhein-Sieg Forum in Siegburg und an den Bildschirmen zu Hause.

In seiner Begrüßung betonte der fachliche Leiter der Tagung, Dr.-Ing. Hans-Jürgen Krause, dann auch, dass der Bausektor einen enormen Impact auf das Thema Nachhaltigkeit und besonders auf die Begrenzung des Klimawandels habe. Wichtig sei nun, dass man zu handeln beginne. Deshalb lege die Tagung den Fokus auf praktisches, unmittelbar umsetzbares Wissen.

Der Präsident der IK-Bau NRW, Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, formulierte in seiner Videobotschaft, dass die Losung der Stunde für die Ingenieurinnen und Ingenieure laute, mutig zu sein und zu hoffen. Angesichts der alarmierenden Nachrichten gelte es, sich den Glauben an den Fortschritt zu bewahren und praktische Lösungen zu suchen und zu finden. Hier schließt sich der Kreis zum "Global Tipping Points" Report. Denn die Wissenschaftler unterstreichen in ihrem Bericht, dass positive Kipppunkte für den notwendigen transformativen Wandel entscheidend sein können. Wendet man nämlich die Erkenntnisse über Kippdynamiken auf Gesellschaftssysteme an, zeigt sich, auch wünschenswerte Veränderungen können unter den richtigen Bedingungen selbstverstärkend wirken. Somit war der Ton des Tages gesetzt: Die Lage ist ernst, packen wir es an.

Klimawandel und Circular Economy

So passte es, dass Dipl.-Ing. Christian Wrede im ersten Vortrag des Tages gleich deutlich machte, dass jeder Tragwerksplaner im Raum ab morgen die Möglichkeit habe, nur durch eine angepasste Beratung und Planung rund 50 Prozent an CO₂-Emissionen einzusparen. In seinem Vortrag über Klimawandel, Ressourcenverbrauch, Abfallaufkommen und den Handlungsbedarf bei der Bauplanung zeigte er auf, wie groß der Anteil des Bausektors an eben diesen Bereichen ist, beschrieb aber zugleich konkrete Strategien, Ressourcenverbrauch und Emissionen durch eine intelligente Planung einzugrenzen. Lesen Sie hierzu auch unser Interview mit Christian Wrede vom März dieses Jahres "Der Klimawandel folgt Naturgesetzen und die sind gnadenlos". Ein wesentlicher Pfad zur Beschränkung von Klimawandel und Ressourcenverbrauch führt über eine funktionierende Kreislaufwirtschaft. Zu diesem Thema gehört die Frage der Wiederverwendung von tragenden Bauteilen und der Tragwerksplanung in einer Circular Economy, die Prof. Dr.-Ing. Patrick Teuffel vorstellte.

Einfach Bauen/Re-use von Betonbauteilen

Die zweite Programmschiene beleuchtete Aspekte des einfachen Bauens und der Wiederverwendung von Betonbauteilen. Der Geschäftsführer Recht und Verwaltung der Bayerischen Architektenkammer, Fabian Blomeyer, eröffnete mit einem Beitrag zum Gebäudetyp-e den Diskurs über mehr Freiheit bei der Planung. Hier gelte es, sich auf das wesentliche und eigentliche Bauordnungsrecht im engeren Sinne zu konzentrieren, das aber nur zehn Prozent der Baunormen ausmache. 90 Prozent seien hingegen bauaufsichtlich nicht eingeführte Normen, Standards und Richtlinien, die sogenannten „anerkannten Regeln der Technik“. So solle der Gebäudetyp-e Handlungsspielräume für den einzelnen Planer eröffnen, die im Dickicht der Regeln verloren gegangen seien.

Prof. Dr.-Ing. Angelika Mettke präsentierte im Anschluss anhand einer Vielzahl anschaulicher Beispiele praxisnahe Ansätze zur Wiederverwendung von Betonelementen. Als Arbeitsmittel zur Verwendung von Bauteilen verwies sie u. a. auch auf die neue DIN SPEC 91484, die einen Standard für ein „Verfahren zur Erfassung von Bauprodukten als Grundlage für Bewertungen des Anschlussnutzungspotentials vor Abbruch- und Renovierungsarbeiten“ fixiert. Lesen Sie in diesem Kontext auch unser Interview mit Dominik Campanella, einem der Mitinitiatoren der DIN SPEC und Mitgründer und Geschäftsführer von Concular, einem Unternehmen für kreislaufgerechte Immobilien.

Stellschrauben der Tragwerksplanung/Verwendung CO₂-reduzierter Beton

Die dritte Programmsession konzentrierte sich auf die Stellschrauben der Tragwerksplanung und die Verwendung von CO₂-reduziertem Beton. Dipl.-Ing. Emilia von Fritsch präsentierte einen praxisorientierten Leitfaden für nachhaltige Tragwerkskonzepte. Prof. Dr.-Ing. Michael Haist informierte über die neuen Ansätze im Betonbau zur Reduzierung von Treibhausgasen.

EU und Nationale Regulatorik/Bewertungssysteme

Die letzte Programmsequenz widmete sich der EU und der nationalen Regulatorik sowie Bewertungssystemen im Bauwesen. Martin Berger beleuchtete das Spannungsfeld zwischen Regulatorik und Praxis im Kontext der EU-Taxonomie. Marc Blum informierte über neue Beratungspflichten für Sachverständige zur Wieder- und Weiterverwendung von Bauteilen und Bauprodukten. Im Gespräch mit der IK-Bau NRW hatte Marc Blum unlängst im europäischen Kontext berichtet, warum die zirkuläre Kreislaufwirtschaft der Schlüssel zu einer nachhaltigen Zukunft ist und gleichzeitig neue Geschäftsfelder für den Berufsstand eröffnet.

Die Vorträge des Tages zeigen deutlich: der Berufsstand besitzt die Möglichkeit und somit angesichts der akuten Bedrohungslage wohl auch die Pflicht, an der Begrenzung der Klimaerwärmung mitzuwirken. Denn das aus den Zeiten der Französischen Revolution stammende Diktum „Aus großer Macht erwächst große Verantwortung“, das mit dem Spiderman-Autor Stan Lee Teil der Popkultur wurde, gilt in Zeiten wie diesen für uns alle ganz unmittelbar. Die Tagung hat gezeigt, dass Mut, Tatkraft und Zusammenarbeit entscheidend sind, um die drängenden Probleme anzugehen. Es liegt nun an jedem Einzelnen, die Verantwortung zu übernehmen und aktiv an der Gestaltung einer nachhaltigeren Zukunft mitzuwirken.

Save the Date

Wie weit wir auf diesem Weg in den nächsten Monaten kommen und welche Aufgaben und Lösungsansätze sich dann ergeben, dürfte ein wichtiges Thema auf der nächsten Fachtagung Nachhaltiges Bauen am 29. Oktober 2024 sein.