Der „Sprung über die Emscher“ - Ein Brückenprojekt als Symbol für den Strukturwandel im Ruhrgebiet

Der „Sprung über die Emscher“ - Ein Brückenprojekt als Symbol für den Strukturwandel im Ruhrgebiet

Im Interview mit der IK-Bau NRW spricht Dr. Martina Oldengott über das ambitionierte Projekt „Sprung über die Emscher“. Sie berichtet über die Ursprünge, die Bedeutung für die Region und die zahlreichen Herausforderungen, die es zu bewältigen galt und erklärt, wie der Planungswettbewerb zur Qualität und Transparenz des Projekts beigetragen hat.

IK-Bau NRW: Könnten Sie uns etwas über die Ursprünge des Projekts „Sprung über die Emscher“ erzählen und welche Bedeutung es für die Region hat?

Martina Oldengott: Den Gedanken, eine Brücke über das Wasserkreuz in Castrop-Rauxel zu errichten, gibt es schon lange. Mein Mann hatte die Idee, diese etwas gekrümmte Trasse des Rhein-Herne-Kanals mit Stufen zugänglich zu machen. Für die Erweiterung des Kanals musste der Durchlass der Emscher verlagert und 60 Meter weiter nach Norden verschoben werden. Die Vision meines Mannes war, diese Infrastrukturen erlebbar zu machen. Hier schichten sich ruhrgebietstypische Infrastrukturen wie kaum an einem anderen Ort: Wir haben unterirdisch liegend den Abwasserkanal Emscher, dann sechzehn Meter darüber die Emscher, dann wieder acht Meter darüber den Rhein-Herne-Kanal und nun letztendlich noch einmal 10 Meter darüber das Brückenbauwerk „Sprung über die Emscher“.

IK-Bau NRW: Wie wurde aus der Idee der Titel „Sprung über die Emscher“?

Martina Oldengott: Als mein Mann und ich uns 2001 kennenlernten, habe ich in noch in Hamburg gearbeitet. Eins unserer großen Projekte zu der Zeit dort war der sogenannte „Sprung über die Elbe“, der Hamburg stärker mit Harburg und Wilhelmsburg verbinden sollte. So kam es, dass mein Mann irgendwann sagte, “Du machst den „Sprung über die Elbe“, ich mache den „Sprung über die Emscher“. Dann bin ich im März 2005 von Hamburg ins Ruhrgebiet gewechselt, habe die Stelle bei der Emschergenossenschaft bekommen, um gemeinsam mit den Kommunen den Masterplan für den Emscher- Umbau zu erarbeiten. Ziel war es, Ideen und Projekte zu entwickeln, die den Emscher-Umbau zum Strahlen bringen und zu diesen Hotspots gehörte auch das Wasserkreuz in Castrop-Rauxel.

IK-Bau NRW: Welche Rolle hat die Emschergenossenschaft bei der Initiierung und Umsetzung des Brückenbauwerks gespielt?

Martina Oldengott: Im Vordergrund stand der Wunsch der Emschergenossenschaft, sich mit vier Kommunen um die Ausrichtung der Landesgartenschau zu bewerben. Anlass war, dass viele Städte an der Emscher mit unserem Haus große Projekte verwirklicht hatten: Dortmund besaß den Phönixsee, Oberhausen die großartige Brücke Slinky Springs to Fame, Dinslaken die neue Emscher Mündung, auch Essen hatte neue Wege zum Wasser gefunden. Aber die kleineren, kreisangehörigen Kommunen waren finanziell nicht in der Lage, größere Projekte zu entwickeln und sich um Förderung zu bemühen. Hier sollte die Landesgartenschau für die Kommunen Castrop-Rauxel, Recklinghausen, Herten und Herne Abhilfe leisten. Die vier Kommunen wollten das Kerngelände der Schau am Wasserkreuz positionieren und damit kam der „Sprung über die Emscher“ wieder ins Spiel. Die Gartenschau haben wir nicht bekommen, aber die beteiligten Ministerien haben uns Mut gemacht und ermuntert, uns um Fördermittel zu bewerben. Für die Brücke haben wir schließlich die höchste Förderung eingeworben, die zum damaligen Zeitpunkt jemals aus dieser Bundesförderung „Nationale Projekte des Städtebaus“ ausgeschöpft werden konnte.

IK-Bau NRW: Wie hat der Planungswettbewerb zur Gestaltung und Qualität des Brückenentwurfs beigetragen?

Martina Oldengott: Der Wettbewerb hat die allergrößte Rolle gespielt. Wenn Sie mit Fördermitteln bauen, gleich ob EU-Förderung oder Bundesförderung, dann müssen sie sich dem Wettbewerb stellen. Alles wird europaweit ausgeschrieben und bei planerischen Leistungen ist damit die Verpflichtung zu einem Planungswettbewerb verbunden. Insofern war klar, bekommen wir diese Zuwendung aus den nationalen Projekten des Städtebaus, dann müssen wir auch einen Wettbewerb durchführen.

IK-Bau NRW: Das war dann die Pflicht, aber wie sah die Kür aus? Mit anderen Worten, wie hat der Wettbewerb zum Gelingen des Projektes beigetragen?

Martina Oldengott: Ich bin eine überzeugte Wettbewerbsfrau. Ich finde, dass man sich über Planungswettbewerbe in der kürzesten Zeit die beste, die effizienteste und auch die wirtschaftlichste Lösung erarbeiten kann. Die Qualität des Ergebnisses hängt aber sehr stark davon ab, wie weit Sie als Bauherrin und Ausloberin in der Lage sind, die größte Qualität auch vorauszusehen. Sie müssen eine Vorstellung haben, wie Sie einen Ort entwickeln möchten, und dies in eine gute Aufgabenstellung zu übertragen, ist das Wichtigste, auch für die planenden Büros, die sich an dem Wettbewerb beteiligen.

Wir haben für die Auslobung dieses “Sprungs über die Emscher” formuliert, dass wir die drei Infrastrukturbündel überbrücken wollen und dass wir die Städte Castrop-Rauxel und Recklinghausen am Wasserkreuz zusammenführen möchten. Schon der Natur- und Wassererlebnis-Park liegt zur Hälfte auf Castroper Fläche und zur anderen Hälfte auf Recklinghäuser Fläche. Die Menschen auf kurzem Wege an diesen Park heranzuführen, das wollten wir mit der Brücke erreichen. Dann sollte die Brücke aber auch eine Landmarke für die Kommunen sein. Das Ziel war, über Castrop-Rauxel und Recklinghausen hinaus ein neues Wahrzeichen für die Region zu schaffen und damit dem Abschluss des Emscher-Umbaus ein i-Tüpfelchen aufzusetzen.

IK-Bau NRW: Welche besonderen Herausforderungen ergaben sich während des Wettbewerbs und wie wurden diese bewältigt?

Martina Oldengott: Wenn man sowieso einen vollen Schreibtisch hat - und das kann man einfach so sagen von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung - kann keiner selbst so ein Verfahren aus der Hand schütteln. Insofern ist es wichtig, ein fachkompetentes Planungsbüro zu finden, das die Verfahrenssteuerung übernimmt. Das Büro begleitet Sie in Ihrer Funktion als Ausloberin und Bauherrin bei der Auslobung, steuert das Rückfragenkolloquium, organisiert den Wettbewerb und schreibt das Jury-Protokoll der Preisgerichtssitzung. Ich fand es enorm wichtig, diese Unterstützung zu haben.

IK-Bau NRW: Inwiefern hat der Planungswettbewerb auf die Beteiligung der Öffentlichkeit gewirkt?

Martina Oldengott: Die Arbeiten wurden öffentlich ausgestellt und wir haben die Ausstellung mit attraktiven Veranstaltungen verbunden. Beispielsweise Exkursionen oder einer Talkrunde der Preisträger. Wir haben den Gestaltungsbeirat und die politischen Gremienvertreter gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern eingeladen.

IK-Bau NRW: Führt eine intensive, begleitende Öffentlichkeitsarbeit zu einer größeren Akzeptanz?

Martina Oldengott: Davon bin ich überzeugt. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass Transparenz hilft, gerade, wenn es kritische Stimmen gibt. Beim Bau der Slinky-Brücke war Oberhausen in der Haushaltssicherung und die Menschen haben erst einmal gesagt, die Stadt könne keine Schulen mehr sanieren und es fehlten die Kindergärten, aber Künstlerbrücken würden gebaut. Dem konnte ich aber entgegenhalten, dass die Brücke nicht das städtische Budget belastet, sondern aus Fördergeldern gebaut wurde, die ohne Brücke gar nicht in Oberhausen gelandet wären. Außerdem ist die Brückenskulptur von Tobias Rehberger ein Kunstwerk, das über die Zeit gesehen immer wertvoller wird.

IK-Bau NRW: Welche Empfehlungen würden Sie anderen Auftraggebern geben, die sich mit ähnlichen Bauvorhaben konfrontiert sehen?

Martina Oldengott: Als erstes muss man die Politik mitnehmen, die Verwaltung muss für das Projekt werben und deutlich machen, wenn wir uns auf dieses Projekt verständigen, wenn wir einen politischen Konsens über das Projekt haben, dann führt der Weg nur über einen Planungswettbewerb. Will man mit einem Bauobjekt einen Ort zum Strahlen bringen, dann sollte man die Chance nutzen, die ein Wettbewerb bietet. Er ermöglicht die größtmögliche Vielfalt an planerischen Lösungsansätzen. Es geht aber auch um die Chance, sich beim Wettbewerb den Sachverstand guter Fachpreisrichter einzuholen. Es ist ein Luxus, ein Angebot von vielen Entwürfen zu haben, die sehr unterschiedlich von der Herangehensweise an die örtliche Umgebung, von der Materialverwendung und von der Gestalt sein können. Sich im Rahmen eines Wettbewerbs für den besten Entwurf entscheiden zu dürfen, empfinde ich als hohes Privileg für eine Bauherrin. Und dies schließt alle Beteiligten im Prozess mit ein: Verwaltung, Politik, Stadt, Bürgerinnen und Bürger. Es geht um einen gemeinschaftlichen Prozess verschiedener Akteure einer Stadt.

Das Interview führte Dr. Bastian Peiffer, Pressesprecher der IK-Bau NRW.