01.09.2022

„Von der Selbständigen zur Unternehmerin …" SARAH KOSMANN IM INTERVIEW

„Von der Selbständigen zur Unternehmerin …" SARAH KOSMANN IM INTERVIEW

Will man mehr Frauen für das Bauingenieurwesen und insbesondere für die selbständige Ausübung des Berufes gewinnen, ist eines ganz wichtig: Rollenvorbilder. Sarah Kosmann ist ein solches Vorbild. Mit einem konsequenten Remote-Ansatz, neuen Netzwerken und einem Arbeitszeitmodell, bei dem eigentlich niemand länger arbeitet als 30 Stunden in der Woche, hat sie ein erfolgreiches Ingenieurbüro gegründet und beschäftigt inzwischen sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir haben mit Sarah Kosmann über Gründung und modernes Unternehmertum gesprochen.



IK-Bau NRW: Was war Ihre Motivation, sich selbständig zu machen?

Sarah Kosmann: Der erste und wichtigste Punkt ist die Flexibilität. Ich habe die Kontrolle darüber, wann und wie viel ich arbeite. Auch als Ingenieurin oder Ingenieur mit junger Familie hat man in der Selbständigkeit größere Gestaltungsmöglichkeiten, den verschiedenen Rollen besser gerecht zu werden. In meinem Angestelltenverhältnis besaß ich diese Flexibilität nicht. Außerdem wollte ich immer gestalten. Ich wollte Entscheidungen über die Inhalte meiner Arbeit und auch über strategische Fragen treffen. Das war als junge Ingenieurin im Angestelltenverhältnis nicht möglich.

IK-Bau NRW: Wie alt waren Sie als Sie gegründet haben und über wie viele Jahre Berufserfahrung verfügten Sie damals?

Sarah Kosmann: Ich war 32 Jahre alt als ich mich komplett selbständig gemacht habe. Zu diesem Zeitpunkt lag mein Studienabschluss bereits acht Jahre zurück. Allerdings war ich in diesem Zeitraum nicht nur angestellt, sondern habe auch für zwei Jahre am Fraunhofer-Institut gearbeitet.

IK-Bau NRW: Wie lange hat es denn gedauert, vom Entschluss sich selbständig zu machen bis zur tatsächlichen Gründung? Wie sahen die ersten Schritte aus?

Sarah Kosmann: Die Vorbereitungszeit dauerte ca. ein halbes bis dreiviertel Jahr. Dem Entschluss zur Selbständigkeit ging bei mir die Elternzeit nach der Geburt meines jüngsten Kindes voran. Die ersten Schritte waren klassisch die Anmeldung beim Finanzamt und ähnliches. Dann muss man überlegen, wen man als Auftraggeber gewinnen will. Ich habe meine ersten Kunden online gefunden bei der Recherche nach Bauherren, die sich für einen Energieausweis interessierten und so ging es Schritt für Schritt weiter und aufwärts.

IK-Bau NRW: Auf welche Informationsquellen kann man zurückgreifen, wenn man sich selbständig macht im Bauingenieurwesen?

Sarah Kosmann: Geholfen hat mir zunächst mein Umfeld, konkret Menschen, die bereits selbständig waren. Je länger man sich dann mit dem Thema beschäftigt, gewinnt man einen Überblick, welche Fragen man für sich klären muss. Man findet online konkrete Tipps für Freiberufler, die sich selbstständig machen wollen. Auch das Gespräch mit dem Steuerberater hat mir weitergeholfen. Aber unter dem Strich muss man selbst vieles recherchieren und relevante Infos aus verschiedenen Quellen sammeln.

IK-Bau NRW: Ist man als Absolvent*in des Bauingenieurwesens auf Selbständigkeit und Gründung
vorbereitet, insbesondere auf die Softskills, die es braucht?

Sarah Kosmann: In meinem Fachstudium hat das Thema Selbständigkeit überhaupt keine Rolle gespielt. Mittlerweile gibt es beispielweise an der TU Dortmund das Centrum für Entrepreneurship. Das Zentrum ist allerdings unabhängig von bestimmten Fachgebieten. Ähnliche Zentren gibt es auch an anderen Universitäten wie beispielsweise Aachen oder Wuppertal. Der politische Wille zu mehr Gründungen gerade im technischen Bereich wird hier sichtbar, allerdings fehlt oft noch die konkrete Anbindung an die einzelnen Fachbereiche. Klar ist auch, dass die Möglichkeiten, sich als Bauingenieurin oder Bauingenieur direkt nach dem Studium selbständig zu machen, beschränkt sind. Bestimmte Qualifikationen gerade im Sachverständigenwesen erfordern eine Berufserfahrung, die im Angestelltenverhältnis eben leichter nachzuweisen ist.

IK-Bau NRW: Welche Hürden muss man überwinden, um wenige Jahre nach der Gründung bereit sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu beschäftigen?

Sarah Kosmann: Zunächst war die Auftragslage einfach sehr gut und ich hatte schnell mehr Arbeit als ich allein schaffen konnte. Dann kam der erste Mitarbeiter und es gab auch bald mehr zu tun als man zu zweit schaffen kann und so ging es dann weiter. Was meine persönliche Entwicklung angeht, bin ich in dieser Zeit von der Selbständigen zur Unternehmerin geworden. Meine Aufgaben haben sich verändert. Ich arbeite eben nicht mehr selbständig, sondern ich führe ein Unternehmen. Das ist tatsächlich ein Unterschied und dieser Entwicklung geht ein Lernprozess voraus und der ist nicht immer leicht. Schließlich habe ich mich auch selbstständig gemacht, weil mir meine Arbeit Freude bereitet und ich sie gerne mache. Wenn ich merke, dass sich meine Aufgaben als Unternehmerin in eine andere Richtung bewegen, es darum geht, die Strategie des Unternehmens zu entwickeln und dafür zu sorgen, dass meine Mitarbeiter gute Arbeit haben, ich diese Arbeit aber nicht mehr selbst machen kann, muss ich bereit sein loszulassen. Das ist kein leichter Prozess, den man hier durchläuft und durchlebt. Wenn es nicht gelingt, loszulassen und seinem Team zu vertrauen, wird das Unternehmen auch nicht wachsen. Eine der größten Herausforderungen ist in diesem Zusammenhang der Bereich Mitarbeiterführung. Man muss sich mit Themen wie Lohnbuchhaltung, Urlaubsansprüchen, Krankheit, Kinderkrankengeld und vielem anderen mehr auseinandersetzen. Manches lässt sich outsourcen, aber man muss sich in die Themen trotzdem einarbeiten und am Ende selbst entscheiden. Ich habe so gelernt, dass man nicht alles von anderen erledigen lassen kann, weil man als Unternehmerin wissen will und muss, was passiert, um schließlich entscheiden zu können. Für das Wachstum meines Büros war unser Remoteansatz aus meiner Sicht ein ganz wichtiger Faktor, d. h. wir sind nicht standortgebunden und ich kann im ganzen Bundesgebiet Fachkräfte und Auftraggeber finden. Das ist ein großer Vorteil, gerade hier auf dem Land.

IK-Bau NRW: Was bedeutet das Schlagwort Remote-Work denn für die Organisation Ihres Büros konkret?

Sarah Kosmann: Wir haben alle unser Büro zu Hause. Das ist also eine Voraussetzung, dass zu Hause oder denkbar auch in einem Coworking-Space ein Arbeitsplatz zur Verfügung steht und wir treffen uns dann morgens online im Videocall. In Präsenz sehen wir uns derzeit eigentlich nur bei Terminen vor Ort. Ein Mitarbeiter sitzt in Mecklenburg-Vorpommern, im Großraum Münster und Warendorf sind vier Leute angesiedelt, eine Mitarbeiterin ist bei Siegen ansässig und der südlichste Standort ist bei Mannheim. Es ist sicher ein Vorteil für uns, dass wir ein so großes Einzugsgebiet haben.

IK-Bau NRW: Wie sind denn die zeitlichen Ansprüche an die Unternehmerin im Jahr 2022? Für viele ist das Bild 24/7 für das Unternehmen zu leben, nicht mehr vorstellbar. Wie ist das in Ihrem Alltag?

Sarah Kosmann: Klar ist, ich trage 24/7 die Verantwortung und aus dieser Verantwortung kommt man auch nicht raus. Allerdings bin als Unternehmerin zeitlich eben flexibel. Zum Schulstart nehme ich mich beispielweise für einen Tag raus. Mein Team arbeitet durchweg auch nur um die 30 Stunden, das heißt jeder ist mal weg. So kommen Neiddebatten, die es sicher gibt, gar nicht erst auf. Die eine arbeitet vielleicht nur bis 13 Uhr und der andere dafür freitags gar nicht. Es herrscht ein großes Vertrauen, dass die Projekte geschafft werden. So kann es auch passieren, dass, wenn es brennt, für einen Tag mal der Urlaub unterbrochen wird. So teilen wir alle eine bestimmte Kultur. Wäre ich jeden Mittag weg und alle anderen würden durchweg 40 Stunden arbeiten, wäre das sicher problematischer.

IK-Bau NRW: Das ist die interne Sicht, wie aber gehen Auftraggeber und Bauherrn mit flexiblen Arbeitszeiten um?

Sarah Kosmann: Man muss unterscheiden zwischen privaten Bauherren und öffentlichen bzw. gewerblichen Auftraggebern. Für private Auftraggeber, die gerade bauen oder sanieren, ist es eher ein bisschen schwierig, wenn man mal einen Tag nicht erreichbar ist. Für diese Gruppe ist der Hausbau bzw. die Sanierung sehr aufregend und da ist es ganz wichtig zu signalisieren, dass man sich kümmert und etwaige Probleme kurzfristig gemeinsam löst. Bei den größeren Projekten und in der Zusammenarbeit mit anderen Planern ist es in der Regel kein Problem.

IK-Bau NRW: Welche Entscheidung hat Ihnen als Unternehmerin am meisten geholfen?

Sarah Kosmann: Tatsächlich war das die Entscheidung, eine Kraft für die Buchhaltung einzustellen. Nach dieser Entscheidung konnte ich wieder Ingenieurin sein, die Strukturen im Büro wurden viel klarer.

IK-Bau NRW: Was war vielleicht die größte Fehlentscheidung als Unternehmerin?

Sarah Kosmann: Vielleicht hätte das Unternehmen langsamer wachsen sollen.Man kann schon ins Stolpern und in eine Art Überforderung geraten, wenn man zu schnell wächst. Damit verbunden, hätte ich vielleicht öfter „nein“ sagen sollen, wenn es um neue Aufträge ging, obwohl die bestehenden Kapazitäten eigentlich schon ausgelastet waren.

IK-Bau NRW: Was war für Sie in den ersten Jahren der Selbständigkeit die größte Hilfe?

Sarah Kosmann: Was mir auf jeden Fall immer geholfen hat, ist ein Netzwerk aus anderen Selbständigen. Das verhindert, dass man in der ersten Zeit allein in seinem Büro vor sich hin brütet. Ganz wichtig sind gute Partner, mit denen man sich vertrauensvoll austauschen kann. Man muss das Rad nicht jedes Mal neu erfinden und meiner Erfahrung nach freuen sich Menschen, wenn man sie um Rat fragt und helfen einem gerne weiter.

IK-Bau NRW: Sie gehören ja auch zu den Gründerinnen des Netzwerks „Frau liebt Bau“. Wie funktioniert hier der Austausch?

Sarah Kosmann: In der Anfangszeit haben wir uns alle zwei Wochen für ein bis zwei Stunden am Telefon getroffen. Wir befanden uns damals alle in der gleichen Gründungsphase und waren so etwas wie Sparringspartner füreinander. Der Austausch hat enorm geholfen, zunächst weil man sieht, dass man mit seinen Ängsten und Sorgen nicht allein ist. Auf der anderen Seite hat man auch jemanden, der sich ehrlich mit einem freut, wenn es gut gelaufen ist. Aus diesem Netzwerk „Frau liebt Bau“ sind echte Freundschaften geworden und auch wenn die Zeit knapper wird, tauschen wir uns aus, wenn es passt und notwendig ist.

IK-Bau NRW: Wie stellen Sie sich die weitere Entwicklung Ihres Büros vor?

Sarah Kosmann: Eigentlich bin ich gerade ganz happy. Ich bin an dem Punkt, dass ich keine eigenen Planungsaufgaben mehr habe, und das war mein Ziel. Dazu kommt, dass im Hinblick auf Zinsen, Inflation und Förderbedingungen die Baukonjunktur etwas unsicherer geworden ist. Deshalb lautet das Ziel derzeit, das Erreichte zu halten und in ein bis zwei Jahren schaue ich dann mal weiter. Danach kann ich mir auch durchaus vorstellen, dass das Unternehmen weiter wächst.

IK-Bau NRW: Wie können Sie junge Bauingenieure und Bauingenieurinnen überzeugen, auch den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen?

Sarah Kosmann: Das wichtigste Argument für mich ist die Flexibilität. Ich genieße es, einen Tag frei zu nehmen, ohne darüber einem Dritten Rechenschaft abgeben zu müssen. Diese Freiheit schätze ich sehr. Das bedeutet aber auch, dass man mit der Verantwortung als Unternehmerin umgehen kann und sie nicht als Belastung empfindet.

Das Interview führte der Pressesprecher der IK-Bau NRW, Dr. Bastian Peiffer.


Sarah Kosmann, M.Sc., studierte an der Universität Duisburg-Essen und der Technischen Universität München bis 2010 Bauingenieurwesen mit dem Schwerpunkt Bauphysik, Holzbau, Baukonstruktion und Architektur. In den folgenden Jahren arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer-Institut für Bauphysik in internationalen Projekten mit dem Schwerpunkt der hygro-thermischen Gebäudesimulation und Bauphysik in der Denkmalpflege. Seit 2018 führt sie ihr eigenes Ingenieurbüro für Bauphysik im westfälischen Ennigerloh. Neben der klassischen biophysikalischen Fachplanung für Wohn- und Nichtwohngebäuden und der Energie- und Förderberatung, liegt ein Schwerpunkt des Büros auf der Simulation von bauphysikalischen Vorgängen, wie der dynamischen hygrothermische Simulation oder der Simulation von Wärmebrücken. Derzeit entwickelt Sarah Kosmann mit einer Kollegin unter „kasaira“ einen intelligenten Raumakustikplaner. Privat lebt Sarah Kosmann seit 2012 in Ennigerloh, mitten auf dem Land. Zu ihrer Familie gehören ihr Mann Benedikt, sowie die drei Kinder Ella (10), Mira (7) und Justus (4).