03.03.2023
Mit Dipl.-Ing. Christian Wrede, Bollinger+Grohmann haben wir darüber gesprochen, was der Berufsstand und insbesondere die Tragwerksplaner tun können, um die Klimaerwärmung zu stoppen.
IK-Bau NRW: Im Gespräch mit Experten kann man den Eindruck gewinnen, dass wir den Wettlauf gegen die Zeit verlieren könnten. Haben wir noch eine Chance, das 1,5 Grad-Ziel des Pariser Abkommens zu erreichen?
Christian Wrede: Es stimmt, viele sagen, das 1,5-Grad-Ziel schaffen wir nicht mehr. Selbst Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hält es für wahrscheinlich, dass wir zumindest zeitweise eine höhere Erderwärmung erreichen könnten. Deshalb ist es umso wichtiger, die Temperaturkurve jetzt nach unten zu biegen und eine mögliche Erwärmung über die 1,5-Grad Grenze hinaus so kurz wie möglich zu halten. Wenn wir uns gerade jetzt weniger anstrengen, dann werden wir das nicht schaffen.
IK-Bau NRW: Sie sind im Hinblick auf das Thema Klimaerwärmung sehr engagiert. Wann ist Ihnen das Thema erstmals begegnet und ist Ihnen gleich die gesamte Tragweite des Problems bewusst geworden?
Christian Wrede: Das war ein längerer Prozess und mir war
nicht gleich klar, was eigentlich los ist. Natürlich hat man immer schon viel über das Thema Klimaschutz gehört, aber ohne
so richtig in die Tiefe zu gehen. Vor drei oder vier Jahren habe ich dann einen Fachartikel einmal etwas genauer gelesen.
Und mir ist gleich aufgefallen, dass viele Zahlen in der öffentlichen Debatte ungenau verwendet werden. Ich bin dann tiefer
in die Materie eingestiegen und habe geschaut, wie groß sind
die Emissionen, woher kommen sie, welches Grad-Ziel können
wir erreichen und wie groß ist das CO2
-Budget, dass uns zur
Verfügung steht.
IK-Bau NRW: Sie sagen, die Zahlen, die Sie an verschiedenen Orten gelesen haben, waren oft nicht konsistent? Was heißt das genau?
Christian Wrede: Nehmen wir beispielsweise das CO2
-Budget: Es gibt ein Budget für das 1,5-Grad-Ziel und eins für das
2-Grad-Ziel. Diese Unterscheidung wird manchmal schon vereinfachend weggelassen. Dann gibt es noch unterschiedliche
Budgets für verschiedene Eintrittswahrscheinlichkeiten dieser
Ziele. Das CO2
-Budget für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels
mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit ist größer als das
für die Einhaltung des gleichen Ziels mit einer 80-prozentigen
Wahrscheinlichkeit. Darauf bin ich nur gestoßen, indem ich die
Berichte des Weltklimarates gelesen habe. Aber das volle Bild
sieht man nur, wenn man sich mit großem Zeitaufwand durch
die Texte arbeitet.
IK-Bau NRW: Was war dann ihr nächster Schritt?
Christian Wrede: Als Nächstes habe ich mir die Sektoren in
Bezug auf die Treibhausgasemissionen angeschaut und festgestellt: Der Sektor Gebäude interessiert mich als Tragwerksplaner nicht so sehr, weil er nur die operativen Emissionen
umfasst. Ich wollte aber wissen, wo die Emissionen aus der
Herstellung von Gebäuden dokumentiert sind und was ich als
Tragwerksplaner konkret tun kann, um sie zu senken. Ich habe
dann recherchiert, wie groß die konstruktionsbedingten Emissionen global und hier in Deutschland sind. Auch diese Suche
war voller Hindernisse. So gibt es jährlich den Global Status
Report for Buildings and Construction des UN Environment
Programme. Darin liest man: 38 Prozent der weltweiten energiebezogenen jährlichen CO2
-Emissionen werden durch Gebäude verursacht. Beim englischen Construction weiß man
nicht so genau, ist die Infrastruktur mit gemeint oder nicht. Ich
habe dann einen der Autoren der Studie in den USA angerufen und einfach gefragt. Und tatsächlich: In den 38 Prozent ist
keine Infrastruktur enthalten, also keine Straßen, keine Tunnel,
keine Brücken, keine Kläranlagen, sondern nur Gebäude.
IK-Bau NRW: Wie hoch sind denn die Emissionen des Bausektors inklusive Infrastruktur tatsächlich?
Christian Wrede: Die gebaute Umwelt ist gemäß des UN-Berichts „UN Office for Project Services-Infrastructure for climate
action, 2021” für 79 Prozent der weltweiten jährlichen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Allerdings umfasst diese
Zahl nicht nur die Infrastruktur selber sondern auch ihren Betrieb also bspw. die Straßen und die Fahrzeuge, die auf ihnen
fahren oder die Flughäfen und die Flugzeuge, die dort starten und landen. Als Tragwerksplaner interessieren mich aber
insbesondere die konstruktionsbedingten Treibhausgasemissionen der Bauwerke allein. Diese Zahl als Summe aus Gebäuden und Infrastruktur habe ich noch nirgends gefunden und man kann sich diesem Wert nur über Umwege annähern. Bei
den Gebäuden rechnet man mit 10 Prozent konstruktionsbedingten Emissionen und 28 Prozent betriebsbedingten Emissionen. Diese Zahlen auch für die Infrastruktur zu bekommen,
ist mir noch nicht gelungen.
IK-Bau NRW: Ich höre aus Ihrem Bericht heraus, dass auch für Sie, der als Ingenieur nochmal einen anderen Zugang zum Thema hat als der normale Bürger, die Thematik sehr kompliziert ist. Führt das im Ergebnis dazu, dass wir beinahe täglich von diesem Problem hören, es aber dennoch in seinem ganzen Ausmaß nicht begreifen?
Christian Wrede: Ja das stimmt. Das ist auch eine Frage der
Motivation. Wenn ich das als normaler Bürger lese, dann
möchte ich das zwar verstehen. Aber als Bauingenieur habe
ich offensichtlich einen sehr großen Hebel, um etwas zu bewegen. Entsprechend möchte ich genau verstehen, wo ich den
Hebel ansetzen muss. Dieses Wissen ist u.a. auch die Grundlage für Beratungsgespräche mit Kunden und Politik. Deshalb
macht es einen Unterschied, ob ich mich nur privat mit dem
Thema auseinandersetze oder, ob ich das erworbene Wissen
auch aktiv nutzen möchte.
IK-Bau NRW: Die Klimaerwärmung ist schon weit vorangeschritten. Wir liegen bereits bei einer Erwärmung von ca. 1,2 Grad seit Beginn des industriellen Zeitalters. Bis zu den im Pariser Abkommen vereinbarten 1,5 Grad ist es nicht mehr weit. Warum sind diese 1,5 Grad eine so wichtige Grenze?
Christian Wrede: Das Pariser Abkommen regelt völkerrechtlich verbindlich, dass wir die Erderwärmung auf deutlich unter
2 Grad begrenzen müssen und wir alles dafür tun sollten, sie
nicht über 1,5 Grad steigen zu lassen. Diese 1,5 Grad resultieren u.a. aus der Eintrittswahrscheinlichkeit der sogenannten Kippelemente. Das sind globale Erdsysteme u. a. das Abschmelzen der globalen Eismassen auf dem Land und auf den
Ozeanen, das Auftauen der Permafrostböden, das Absterben
der Korallenriffe, das Absterben der borealen Nadelwälder
und der Regenwälder und dazu kommt noch das Versiegen
von Meeres- und Luftströmungen. Das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung hat erforscht, ab welcher globalen Durchschnittstemperatur das Risiko für das Kippen dieser Elemente
stark zunimmt. Nicht alle Elemente sind schon bei 1,5 Grad
betroffen. Es gibt Elemente, bei denen besteht schon unter 2
Grad ein hohes Risiko. Dann gibt es eine Gruppe bis 4 Grad
und eine Gruppe größer 4 Grad. Allerdings drohen viele dieser Elemente schon bei einer Erwärmung von 1,5 Grad zu kippen. Das heißt, es zählt jedes zehntel Grad. Aus meiner Sicht
müssen wir deshalb alles tun, um die Treibhausgasemissionen
zu reduzieren, und zwar sofort.
IK-Bau NRW: Warum gibt es denn bei den grauen, anders als bei den betriebsbedingten Emissionen noch keine gesetzliche Regelung?
Christian Wrede: Es gibt verschiedene Nachhaltigkeitszertifikate, z. B. von BNB und DGNB, die das Thema konstruktionsbedingte Emissionen mit einschließen, es gibt aber keine Mindestanforderung, die man erreichen muss, um überhaupt ein Zertifikat zu bekommen. Im Endeffekt gehen die konstruktionsbedingten Treibhausgasemissionen nur mit 3 bis 5 Prin die Bewertung dieser Nachhaltigkeitssysteme ein.
IK-Bau NRW: Aber reicht das aus?
Christian Wrede: Natürlich nicht. Bspw. räumt die DGNB im
Gespräch auch ein, dass das nicht ausreicht. Der Hintergrund
ist, als das aufgesetzt wurde, hat man gesagt, wir trauen den
Daten, die wir im Moment haben, noch nicht so ganz. Deshalb
wollte man diesen Punkt nicht überbewerten. Die DGNB wird
die Bedeutung der konstruktionsbedingten Emissionen aber
voraussichtlich erhöhen. Beim BNB ist es das gleiche Problem.
Ein guter und wichtiger Schritt war daher die Einführung des
Qualitätssiegel nachhaltige Gebäude (QNG) und dort gibt es
tatsächlich eine Mindestanforderung an die konstruktionsbedingten Treibhausgasemissionen, die man erfüllen muss und
die nicht anderweitig kompensiert werden kann.
IK-Bau NRW: Reicht die Ebene der Zertifizierungen aus, um das Problem in den Griff zu bekommen?
Christian Wrede: Aus meiner Sicht nicht. Man sieht das am
besten an einem praktischen Beispiel. Wir versuchen bei vielen unserer Projekte die Treibhausgasemissionen zu senken.
Wir entwickeln Lösungen und sagen dem Kunden, hier gibt
es vier Varianten. Eine ist super, eine zweite ist nicht ganz so
gut, dann wird es immer schlechter und die Variante ganz am
Ende der Skala ist eigentlich die, wie bislang geplant und
gebaut wurde. Dann führen wir die Treibhausgasemissionen
pro m2
auf, und schreiben noch die Kosten dazu. Im Ergebnis kostet die Lösung ein bisschen mehr, die gut für die Umwelt ist. Beispielsweise kostet eine Stahlbeton-Flachdecke 200
bis 250 Euro pro m2
und eine Holz-Beton-Verbunddecke inkl.
Deckenträgern kostet momentan etwa 450 bis 550 Euro pro
m2
. Allerdings sind die Kosten, die wir heute berechnen, eine Fehlkalkulation. Wir Menschen laufen der Natur hinterher
mit unseren Berechnungen. Eine Lösung, die zunächst billiger
erscheint, ist es oftmals nur wegen der politischen Rahmenbedingungen und weil Klimafolgekosten nicht berücksichtigt
werden. Im Hintergrund aber entstehen riesige Kosten durch
die CO2
-Emissionen und diese Kosten trägt nicht der Auftraggeber, sondern die tragen wir alle.
IK-Bau NRW: Also wird der Bauherr sein Verhalten nicht ändern ohne gesetzliche Sanktionen?
Christian Wrede: Wir haben wenige Kunden, die sagen, alles klar, gute Übersicht. Ich nehme die teurere Variante, die das wenigste CO2 emittiert, weil ich ein nachhaltiges Gebäude für mein Portfolio haben will. Aber das sind nicht viele Kunden. Die meisten sagen, vielleicht sollten wir uns doch noch mal die Flachdecke angucken, die wir ja eigentlich nicht mehr bauen wollen. Deshalb bin ich überzeugt, wir sollten ein Gesetz haben und darüber hinaus sollten wir finanzielle Anreize setzen, um die gesetzlichen Anforderungen noch zu übertreffen. Man sollte ein Gesetz erstmal nicht zu streng fassen, sondern könnte sich beispielsweise zum Ziel setzen, jährlich um 10 Prozent besser zu werden. Das wäre ein angemessener Beitrag der gebauten Umwelt, um bis zum Jahr 2045 zumindest in die Nähe einer netto Treibhausgasneutralität zu kommen.
IK-Bau NRW: Bislang hat die Politik vor allen auf den Energieverbrauch beim Betrieb eines Gebäudes geschaut, während die konstruktionsbedingten Treibhausgasemissionen kaum im Fokus standen. Diese Haltung wird dem tatsächlichen Anteil der konstruktionsbedingten Treibhausgasemissionen an den Gesamtemissionen eines Gebäudes nicht gerecht. Wie erklärt sich dieses Missverhältnis?
Christian Wrede: Ich glaube, es gibt dafür zwei Gründe: In der
Vergangenheit als wir angefangen haben, uns mit dem Thema zu befassen, ich glaube 1977, gab es die erste Energieeinsparverordnung. Damals waren die Emissionen aus dem Betrieb eines Gebäudes über seine Lebenszeit viel größer als die
konstruktionsbedingten Emissionen. In der Vergangenheit war
es also wichtiger erst einmal die Emissionen aus dem Betrieb
des Gebäudes zu reduzieren. Dazu kommt: In unserem Gebäudeportfolio heute sind ja vielmehr Bestandsbauten als Neubauten vorhanden. Jetzt sind die Betriebsemissionen durch
die Entwicklung der Energieeinsparverordnungen immer weiter heruntergegangen. Bei modernen Gebäuden kann man sagen: Das Verhältnis von operativen und konstruktiven Emissionen ist etwa 50 zu 50. Das heißt, wenn wir jetzt noch weiter
runter wollen mit den Emissionen, müssen wir jetzt auch die
konstruktionsbedingten Emissionen betrachten. Das heißt aus
der Historie kann man verstehen, dass das andere Thema zuerst angegangen wurde. Jetzt ist aber der Zeitpunkt gekommen, die konstruktionsbedingten Emissionen zu reduzieren.
IK-Bau NRW: Im DIB haben Sie zuletzt gesagt, dass nach Ihrer Projekterfahrung die konstruktionsbedingten Treibhausgasemissionen des Gesamttragwerks leicht in etwa auf 70 Prozent im Vergleich zu konventionellen Lösungen reduziert werden können? Wie genau kann das funktionieren und reichen diese 70 Prozent aus, um unsere Klimaziele zu erreichen?
Christian Wrede: Das Ziel ist ja die Treibhausgasneutralität,
das bedeutet aber nicht null Emissionen. Gehen wir davon
aus, dass wir geschätzt auf 10 Prozent kommen müssen. Wenn
wir ein neues Projekt anfangen, ist der erste Schritt, die Anforderungen an das Tragwerk zusammenzustellen. Es gibt dabei
Lasten, es gibt Verformungsbeschränkungen, damit nachher
das Fenster und die Tür noch aufgehen. Es gibt dabei Schwingungsbegrenzungen, damit sich am Schreibtisch niemand unwohl fühlt, wenn draußen jemand über den Flur läuft. Dann
gibt es noch Spannweiten und Kragarmlängen zu betrachten.
Ich schaue mir als Tragwerksplaner also an, welche Anforderungen ich habe und als Ingenieur weiß ich, bei dieser oder
jener Anforderung benötige ich viel Material. Deshalb sollten
wir unsere Kunden gut beraten und klar sagen: Schau mal, hier
hast Du eine Anforderung definiert, die hat folgende Konsequenzen. Man muss also die Grundlagenermittlung kritisch
hinterfragen und den Kunden und den anderen Fachplanern
aufzeigen: Hier hast Du mir was gesagt, das ist für das Tragwerk schlecht und führt zu hohen Emissionen. Können wir da
nicht was anderes machen. Allein mit dieser Beratung können
wir ca. 20 Prozent der konstruktionsbedingten Treibhausgasemissionen einsparen. Der nächste Schritt betrifft das Thema
Materialeffizienz und gute Baustoffe, die vielleicht sogar ein
negatives Treibhauspotenzial haben. Im Moment besitzen ca.
70 Prozent der neu gebauten Gebäude in Deutschland eine
Flachdecke, die denkbar ungünstig und ineffizient ist im Hinblick auf den Materialverbrauch. Sie ist aber billig und schnell
herzustellen. Für die TGA-Planer haben Flachdecken auch Vorteile, weil Leitungen in alle Richtungen verlegt werden können und auch spätere Änderungen den Tragwerksplaner nicht
mehr so stark berühren. Eine schöne Lösung mit vielen Rippen macht es für den TGA-Planer in jedem Fall komplizierter.
Man kann jedoch materialsparender planen, indem man beispielweise eine Vorspannung einbringt oder indem man Querschnitte einbaut, die in den Randzonen mehr Material haben
und dazwischen nur ein paar Rippen. Das ist übrigens keine
neue Erkenntnis. Nach dem Krieg wurden Häuser oft mit Rippendecken und nur 14 cm dicken Betonplatten gebaut und
das müssen wir heute wieder machen. Leider ist das heute teuer wegen der Arbeitskosten. Manche Lösungen, die Material
sparen, bedürfen eines höheren Herstellungsaufwandes. Das
führt zu einer grundsätzlichen Frage, die in Diskussionen zum
Thema immer wieder auftaucht, wenn eine Lösung CO2
einspart, aber gleichzeitig teurer ist als die Standardlösung. Für
mich stellt sich diese Frage aber nicht. Wenn wir den Klimawandel nicht in den Griff bekommen, spielen Kosten keine Rolle mehr, denn auch mit allem Geld der Welt, können wir dann
nichts mehr ausrichten. Trotzdem wird in Diskussionen immer
wieder die Option genannt, so weiterzumachen wie bisher.
Aber der Klimawandel folgt Naturgesetzen und die sind gnadenlos. Jedes Kilogramm CO2
-Emission führt zu einer Erderwärmung. Wir können uns die globale Erwärmung nicht durch
Narrative schönreden oder durch Debatten hinauszögern.
Aber zurück zur Frage. Wir haben durch das kritische Hinterfragen der Anforderungen 20 Prozent gespart. Wenn man
jetzt zusätzlich noch auf materialeffiziente Systeme wie Holzverbunddecken oder Hohlkörperdecken setzt, kann man noch
einmal ca. 30 Prozent an CO2
-Emissionen einsparen. Insgesamt bin ich dann mit beiden Maßnahmen schon bei etwa
50 Prozent Einsparung der Emissionen. Wir müssen aber auf
10 Prozent runter. Also fehlen noch 40 Prozent und die bekommen wir nicht hin, ohne eine funktionierende Kreislaufwirtschaft. Das heißt, wenn ich ein Gebäude plane und baue,
dann möchte ich eine Stütze oder ein Deckenelement in 50
Jahren ausbauen können und in einem anderen Gebäude ohne großen Aufwand wieder einbauen können. Die Emissionen,
die beim Transport eines solchen Bauteiles entstehen, sind
übrigens sehr viel geringer als die Emissionen bei der Herstellung des Bauteiles, auch wenn ich es durch ganz Deutschland transportiere. Durch die konsequente Wiederverwendung von Bauteilen können wir noch einmal ca. 40 Prozent
der Emissionen einsparen. Die drei genannten Schritte haben
einen unterschiedlichen Entwicklungsgrad. Das Hinterfragen
der Kundenanforderungen kann heute schon jeder Tragwerksplaner leisten. Den Ansatz der Materialeffizienz wird heute wahrscheinlich noch nicht jedes Büro konsequent umsetzen. Einige machen das schon, aber noch nicht alle. Mit dem
Thema Kreislaufwirtschaft beschäftigen sich aktuell noch die
aller wenigsten.
IK-Bau NRW: Von welchem Zeithorizont sprechen wir denn beim Thema Kreislaufwirtschaft?
Christian Wrede: Die Institution of Structural Engineers
(IStructE) hat dazu eine Benchmark Studie durchgeführt und
untersucht, wie hoch unser CO2
-Budget ist und wie viel davon
dem Bauwesen zusteht. Dann haben sie gefragt, wie viel bis
2050 jedes Jahr gebaut wird. Auf dieser Basis haben sie ausgerechnet, wie viel man pro m2
gebauter Fläche noch emittieren darf. Ausgangspunkt waren etwa 350 kg CO2
Äq. pro
m2
Brutto-Grundfläche nur für das Tragwerk und 2050 bzw.
2045 müssen wir bei der Klimaneutralität sein, damit müsste
man sich Jahr für Jahr um 10 Prozent verbessern. Theoretisch
könnten wir diesen Reduktionspfad also über die nächsten 5
Jahre noch mit den beiden Ansätzen der Anforderungsoptimierung und der Materialeffizienz einhalten und müssten erst
danach zusätzlich den Ansatz der Kreislaufwirtschaft implementieren. Das stimmt aber nur wenn heute schon alle Planer und Auftraggeber die beiden erstgenannten Ansätze erfolgreich realisieren würden und das ist keineswegs der Fall.
Meiner Meinung nach müssen wir jetzt alles, was wir können,
sofort umsetzen damit wir unter dem Strich einen Puffer haben für die Dinge, die noch nicht funktionieren. Wir sollten bei
dieser Diskussion auch in Erinnerung rufen, dass wir bis heute
regelmäßig die Ziele im Bundes-Klimaschutzgesetz verfehlen.
Deshalb brauchen wir eine gesetzliche Regelung. Wir können
nicht warten, bis jeder das freiwillig umsetzt. Wenn ein Gesetz
da ist, wird es auch funktionieren.
IK-Bau NRW: Noch eine konkrete Frage zum Baustoff Holz. Was kann Holz zur Lösung beitragen?
Christian Wrede: Holz ist kein Allheilmittel. Es wird immer
Bauwerke geben, die wir nicht mit Holz bauen können. Wir
müssen also bei den wichtigsten Baustoffen Stahl, Beton und
Holz Strategien entwickeln, um deren Emissionen zu minimieren. Was die Verfügbarkeit von Holz als Baustoff angeht,
konnte ich mir auch noch kein abschließendes Urteil bilden.
Eigentlich bin ich der Meinung, dass die von Hans Joachim
Schellnhuber propagierte Waldbaupumpe der richtige Weg
ist. Vereinfacht bedeutet diese, der Baum speichert während
seines Wachstums CO2
und das führt zu einer negativen CO2
-
Bilanz. Dann baue ich das Holz in das Gebäude ein und wir
haben erst einmal eine CO2
-Senke geschaffen. Jetzt kommt
aber die entscheidende Frage, was passiert mit dem Holz zum
Lebensende des Gebäudes? Wird es verbrannt oder wird es
wiederverwendet? Wenn ich es verbrenne, habe ich eigentlich keine CO2
-Senke mehr. Bei der Ökobilanzierung gibt es
die beiden Szenarien der sogenannten stofflichen und energetischen Verwertung. Jetzt sagt aber die Ökobilanzierung, dass
ich mit dem Verbrennen des Holzes andere fossile Brennstoffe
zur Energiegewinnung ersetze und dafür bekomme ich dann
wieder eine Gutschrift. Das funktioniert aber nur, wenn meine Energiegewinnung wirklich noch zum Großteil auf fossilen
Brennstoffen beruht. Wenn ich aber überwiegend regenerative Energien nutze, ergibt diese Rechnung keinen Sinn mehr.
Nach meiner Einschätzung sind wir heute schon bei diesem
Punkt angelangt. Das heißt, wir müssen das Deckenelement
oder die Stütze aus Holz ausbauen und im nächsten Gebäude wieder einbauen. Jetzt kommt jedoch das große Thema der Verfügbarkeit des Holzes. Es gibt hier bspw. eine Studie
der Uni Kassel gemeinsam mit dem WWF. Diese Studie zeigt
auch Szenarien auf, bei denen wir nicht genug Holz hätten.
Verschiedene Studien kommen hier zu sehr unterschiedlichen
Ergebnissen. Studien, die von einer größeren Verfügbarkeit
von Holz ausgehen, rechnen oft landwirtschaftliche Nutzflächen als potenzielle Waldflächen mit ein. Auch die Prognosen des zukünftigen Holzbedarfs unterscheiden sich bei den
Studien oftmals. Als Bauingenieur und vor allem mit der mir
für solche Recherchen zur Verfügung stehenden Zeit komme
ich hier leider an die Grenze dessen, was ich selber zuverlässig bewerten kann. Hier besteht offensichtlich noch weiterer
Klärungsbedarf.
IK-Bau NRW: Wie sehen Sie die Rolle des Tragwerksplanenden im Plaungsprozess? Tragwerksplanende zuletzt auf unserer Open-Space-Veranstaltung im Sommer, berichten, dass sie im Planungsprozess oft zu spät hinzugezogen würden, so dass eine Optimierung des Bauwerks kaum noch möglich sei. Teilen Sie diese Erfahrung?
Christian Wrede: Nach meiner Erfahrung funktioniert die Zusammenarbeit der einzelnen Fachplaner in der Regel sehr gut.
Das heißt nicht, dass alle immer sofort meinen Vorschlägen
folgen, aber dass wir einen gemeinsamen Diskurs führen. In
den Fällen, wo das nicht funktioniert, muss man die Planungskultur kritisch hinterfragen. Wenn einer der Fachplaner erst am
Ende hinzugezogen wird, dann kann man nur sagen, derjenige, der das Projekt organisiert und verantwortet, hat nicht verstanden, wie man heutzutage planen sollte.
IK-Bau NRW: Eine CO2 -optimierte Lösung ist oft keine Standardlösung und daher aufwändiger und planungsintensiver. Inwiefern gelingt es am Markt hier auskömmliche Honorare zu etablieren?
Christian Wrede: Die oben beschriebene Planung ist unstrittig
etwas aufwändiger als die Standardlösung. Wie viel mehr Aufwand, ist tatsächlich die Frage. Wenn man sich noch nie mit
dem Thema beschäftigt hat, ist es ein sehr großer Aufwand,
sich mit den Fakten vertraut zu machen und auf dieser Basis zu
beraten. Man muss einmal diesen Weg gegangen sein. Ich habe die Möglichkeit, das in meinen Projekten anzuwenden und
zu trainieren, was ich mir auch aus privatem Interesse angeeignet habe, und ich sehe in der Praxis, was funktioniert und was
nicht. Wenn ein Ingenieurbüro diese Thematik neu erarbeitet,
ist das ein erheblicher Aufwand. Deshalb sollten wir auch mit
anderen Büros unsere Erfahrungen teilen. Damit sich jemand,
der neu in das Thema einsteigt, eben nicht erst einmal drei
Jahre lang abends einarbeiten muss. Um dieses Wissen zu teilen, war beispielsweise auch die Artikelserie im DIB (VERWEIS)
gedacht. Die Idee war, in kurzen, verdaulichen Zeilen zusammenzuschreiben, was man wissen muss, wenn man mit dem
Thema starten möchte. Aber natürlich stimmt es. Wir kennen die HOAI, und wir kennen auch die Praxis. Für mich persönlich
stellt sich die Frage aber gar nicht. Weil ich weiß, das Thema
ist für das Überleben der Menschheit wichtig und ich als Ingenieur besitze eine große Verantwortung. Ich habe auch irgendwann einmal kostenlos studiert, da hat die Gesellschaft
mein Studium finanziert. Ich fühle also die Verantwortung und
deshalb, will ich das machen. Wenn ich versuche, den Mehraufwand genau zu beziffern, wird vermutlich eine Antwort herauskommen, die nicht sehr erfreulich ist. Andererseits wird
es irgendwann auch eine große Nachfrage im Markt geben.
Das heißt Ingenieurbüros, die nicht wissen wie man das Treibhauspotenzial eines Gebäudes berechnet, werden auf mittlere
Sicht vom Markt verschwinden. Spätestens, wenn es gesetzliche Regelungen oder finanzielle Anreize gibt, wird eine so
große Nachfrage entstehen, dass man sich vor dem Thema
nicht mehr verschließen kann.
IK-Bau NRW: Wie stehen Sie zu dem Wunsch nach einer einheitlichen und nachweisbaren Qualifikation in Sachen CO2 -Einsparung bzw. nachhaltiger Planung und zirkulärem Bauen.
Christian Wrede: Ich kann mir zwei Lösungen vorstellen. Man
könnte den „Qualifizierten Tragwerksplaner“ ein bisschen aufbohren oder sagen, damit man diesen Titel weiter behalten
darf, muss man eine entsprechende Fortbildung und drei einschlägige Projekte nachweisen. Andererseits könnte auch der
Prüfingenieur einen Beitrag leisten. Beispielsweise könnte dieser das CO2
-Potenzial prüfen, dass der Tragwerksplaner ausgerechnet hat, und sagen, ob das plausibel ist oder ob hier etwas schön gerechnet wurde.
IK-Bau NRW: Die Planung der Ingenieurin bzw. des Ingenieurs ist eng an Normen gebunden. Müsste es hier mehr Freiheit und leichtere Wege zu unkonventionelle Lösungen geben als bislang?
Christian Wrede: Wenn ich eine Norm nicht anwende und es gibt nachher ein Problem, muss ich schon sehr gut erklären können, warum ich auf die Anwendung der Norm verzichtet habe. Es ist schon richtig, dass Normen manchmal abgearbeitet werden, ohne rechts und links zu schauen. Wirklich problematisch sind bestimmte Grenzwerte oder Anforderungen in bestimmten Normen, die explizit verhindern, dass ich es besser machen kann. Beim Betonbau ist so eine Regelung beispielsweise die Rissbreitenbegrenzung. Die Bewehrung, die ein Betonbauteil gemäß Norm benötigt, die ist in den letzten Jahren immer weiter nach oben gegangen. Der absurde Hintergrund: Es braucht mehr Rissbreitenbewehrung, weil die Betone heute aufgrund des höheren Zementanteils schneller erhärten. Erst verwenden wir also mehr Zement im Beton und danach erhöhen wir die Bewehrungsmenge. Genau das Gegenteil muss gemacht werden. Es gibt also Normen, die auf dem Weg zu mehr Klimaschutz hinderlich sind.
IK-Bau NRW: Warum bleiben Sie optimistisch, dass wir die Klimaerwärmung noch stoppen können?
Christian Wrede: Ich bleibe optimistisch, weil ich mich durch
die oben genannten Schritte selbst vergewissert habe, dass
es möglich ist, die konstruktionsbedingten Treibhausgasemissionen von Gebäuden um 90 Prozent zu reduzieren. Ich bin
deshalb überzeugt, dass der Bausektor ein Schlüssel zur Lösung des Problems ist. Was wir bislang besprochen haben,
sind Technologien und Innovationen. Das Thema Suffizienz haben wir das noch gar nicht erwähnt. Wenn wir weniger bauen,
weniger konsumieren und weniger Energie verbrauchen, haben wir die Möglichkeit noch viel mehr einzusparen.
Das Interview führte Dr. Bastian Peiffer, Pressesprecher der IK-Bau NRW
[Erstveröffentlichung im Kammer-Spiegel 01+02/2023]
CHRISTIAN WREDE Dipl.-Ing.; qTWP IK Bau NRW; Projektleiter bei Bollinger+Grohmann in Düsseldorf; hat langjährige internationale Erfahrung im Hochbau und konstruktiven Ingenieurbau als Berater, Projektmanager, Generalplaner, Tragwerksplaner und Objektüberwacher