31.08.2023

Ingenieure ohne Grenzen in Nepal: Mit Energie zu neuen Chancen

Ingenieure ohne Grenzen in Nepal: Mit Energie zu neuen Chancen

Der Solukhumbu Distrikt in Nepal liegt abseits der Touristenströme zum Himalaya. Die Perspektive der Menschen dort verengt sich auf mühsame Subsistenzwirtschaft, Landflucht oder Arbeitsmigration in Golfstaaten wie Katar. Die Regionalgruppe Aachen von "Ingenieure ohne Grenzen" hat es sich gemeinsam mit einer lokalen NGO zur Aufgabe gemacht, die Stromversorgung von Schulen vor Ort zu sichern und den Menschen so neue Perspektiven durch Bildung zu bieten. In unserem Interview sprechen wir mit den beiden Projektverantwortlichen Magdalena Lützig und Matthias May über ihr Projekt.

Das Bild zeigt eine Gruppe von knapp einhundert Helfern in Thulodhunga, Nepal, die bei der Verkabelung und Erdung der Schule geholfen haben.
Das Bild zeigt eine Gruppe von knapp einhundert Helfern in Thulodhunga, Nepal, die bei der Verkabelung und Erdung der Schule geholfen haben.
Magdalena Lützig/Ingenieure ohne Grenzen

IK-Bau NRW

Wir sprechen heute über ein Projekt der Ingenieure ohne Grenzen in Nepal, im südlichen Teil des Himalaya. Könnten Sie kurz skizzieren, wie die Rahmenbedingungen des Projekts lauten? Welches Problem soll gelöst werden, und wie sind die geographischen, klimatischen und sozialen Rahmenbedingungen?

Matthias May

Bei dem Projekt geht es um die Elektroinfrastruktur von Schulen in Nepal. Die Projektregion befindet sich südlich des Everest-Gebiets und ist sehr ländlich geprägt. Die Bevölkerung betreibt Landwirtschaft und lebt größtenteils von dem, was sie selbst anbaut. Die Region liegt abseits der Touristenströme, die zum Mount Everest ziehen. Das Klima vor Ort ist im Sommer tropisch. Wir haben hier im südlichen Teil des Himalaya ausgedehnte Monsunzeiten. Das Stromnetz in der Region ist geprägt von kleinen Inselnetzen. Das bedeutet, dass es oft nur ein Kraftwerk pro Netz gibt. In der Regel besitzt jeder Ort ein bis zwei kleine Wasserkraftwerke, die das gesamte Dorf mit Strom versorgen müssen. Die Analphabetenquote in der Region und in ganz Nepal ist sehr hoch und liegt bei rund 35 Prozent. In diesem ländlichen Gebiet sind die Bildungschancen sehr gering, und unser Projektpartner "Classrooms In The Clouds" hat sich zum Ziel gesetzt, die Bildung der Bevölkerung, insbesondere in den Bergregionen, deutlich zu verbessern. "Classrooms In The Clouds" bildet Lehrerinnen aus, um nicht nur die Bildung zu verbessern, sondern auch den Status von Frauen in der nepalesischen Gesellschaft zu stärken.


IK-Bau NRW

Könnten Sie Ihren Projektpartner kurz vorstellen?

Matthias May

Im konkreten Fall ist unser Projektpartner "Classrooms In The Clouds" eine lokale nepalesische Nichtregierungsorganisation (NGO), die hauptsächlich in Großbritannien Fundraising betreibt. Die Gründungsmitglieder waren damals sowohl Briten als auch Nepalesen. Die Organisation bildet Lehrerinnen aus und zahlt auch deren Einkommen, sodass sie an Schulen das Lehrpersonal ergänzen können.

Magdalena Lützig

Bei allen Projekten von "Ingenieure ohne Grenzen" arbeiten wir eng mit lokalen Projektpartnern zusammen. Oft kommen die potenziellen Projektpartner auf uns zu, da sie wissen, was vor Ort benötigt wird. Unser Ziel ist es dann, ihnen mit unserem technischen Know-how zu helfen.


IK-Bau NRW

Wie wählt „Ingenieure ohne Grenzen“ ihre Projekte aus? Wie verlaufen die einzelnen Phasen eines Projekts, von der ersten Idee bis zur Ausführung?

Matthias May

Die Projektpartner kommen wie gesagt auf unseren Verein zu. Eine Unabhängige Expertenkommission prüft die Anträge. Wenn wir zu dem Schluss kommen, dass das Projekt finanziell, personell und technisch machbar ist, suchen wir innerhalb unserer Regionalgruppen eine Projektgruppe, die den operativen Einsatz betreut.

Magdalena Lützig

Zur Gewährleistung der Nachhaltigkeit, achten wir ebenfalls darauf, möglichst alle Materialien, aber auch Dienstleistungen bei lokalen Händlern im Land einzukaufen und nicht bereits aus Deutschland mitzubringen. So können die Anlagen unabhängig von uns gepflegt werden.

Matthias May

Zudem ist es für uns sehr wichtig, die Begünstigten eines Projekts einzubeziehen. Zuletzt haben etwa 100 Menschen aus dem Dorf aktiv geholfen, zum Beispiel um einen Graben für Erdungsbänder auszuheben oder bei der Verkabelung der Schule. Graben ist in der Region reine Handarbeit und bei dem steinigen Boden ein Knochenjob. Dennoch hat jeder mitgeholfen. Das war überwältigend und zeigt, wie wertvoll die Arbeit an diesem Projekt ist. Es war für uns alle sehr bewegend zu sehen, wie viel den Menschen vor Ort die Hilfe bedeutet. Durch ihre Mitarbeit fühlen sie sich stärker mit dem Projekt verbunden und schätzen es insgesamt mehr.


IK-Bau NRW

In welcher Phase befindet sich das Projekt in Nepal?

Magdalena Lützig

Generell gibt es immer drei Phasen: Erkundung, Implementierung und Evaluation. Wir sind gerade frisch aus der Implementierungsphase zurückgekehrt. Jetzt befinden wir uns noch in der Nachbereitung, und als nächstes folgt die Evaluation. Wir schauen uns mit etwas Abstand an, welche Wirkung unser Projekt zeigt. Was haben wir erreicht, was haben wir gelernt, wie können wir uns selber verbessern, und dann schließen wir das Projekt ab.


IK-Bau NRW

Wie sieht Ihr Lösungsansatz für die Probleme vor Ort aus?

Matthias May

Unser Schwerpunkt liegt auf der Elektroinfrastruktur von Schulen. Wir setzen auf maßgeschneiderte Lösungen, je nach den Bedürfnissen der jeweiligen Schule. Wir kümmern uns zum Beispiel um die Verteilernetze innerhalb der Schule, um die richtige Erdung und den Blitzschutz. Die Stromquellen, also die eigentliche Stromversorgung, wählen wir dann entsprechend den örtlichen Anforderungen aus. In den vergangenen Jahren haben wir oft auf Wasserkraft gesetzt, aber mittlerweile ist die Photovoltaik deutlich günstiger und effizienter geworden, auch in Bezug auf die Batterien. Beim aktuellen Projekt in Nepal haben wir uns beispielsweise für Photovoltaik entschieden. Wir bauen also vor Ort die Photovoltaikanlage mit Verteilernetz, Blitzschutz und Erdung. Gleichzeitig führen wir ein Trainee-Programm von etwa einer Woche durch, um freiwillige Verantwortliche vor Ort auszubilden, die die Anlagen zukünftig betreuen können.


IK-Bau NRW

Wie kann sichergestellt werden, dass die PV-Anlagen dauerhaft betrieben werden können?

Magdalena Lützig

Unser Trainee-Programm hat nicht das Ziel, dass die Teilnehmenden nach einer Woche in der Lage sind, eine Solaranlage zu installieren oder ein Haus selbst zu verkabeln, sondern es geht darum, grundlegendes Wissen zu vermitteln. Wenn später Probleme auftreten, sollen die Teilnehmer diese erkennen und möglicherweise sogar bewerten können, um gezielte Hilfe zu organisieren, oder kleine Probleme sogar selbst zu beheben. Teilnehmende dieses Programms sind beispielsweise der örtliche Schulleiter, einige Lehrkräfte, der Betreiber des Wasserkraftwerks im Ort oder auch die Person, die im Dorf für die Elektrik verantwortlich ist. Zu den zukünftigen Aufgaben des Teams gehört es auch, wöchentlich über den Betrieb der Photovoltaikanlage zu berichten. So möchten wir sicherstellen, dass Fehler frühzeitig erkannt werden.

Matthias May

Das Trainee–Programm läuft während des gesamten Bauprojekts. Dabei möchten wir nicht nur theoretisches Wissen vermitteln, sondern auch praktische Fähigkeiten wie das Setzen von Erdung, Verkabeln der Schule, die Montage von Lichtschaltern und einen sicheren Umgang mit Elektrizität. Zudem sind Photovoltaikanlagen mittlerweile ein modulares Baukastensystem. Das erleichtert die Identifizierung defekter Bauteile und einzelne Bauteile können relativ einfach ausgetauscht werden.


IK-Bau NRW

Welche Bedeutung haben gerade die Schulen für die Entwicklung der Region?

Matthias May

Es geht vor allem darum, den Bildungsstand zu verbessern. Niedrige Bildungsstandards haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass Menschen aus der Region abwandern und im Ausland Arbeit suchen. Ein prominentes Beispiel war die Errichtung von Fußballstadien in Katar, an deren Bau viele Arbeitskräfte aus Nepal beteiligt waren. Bildung und Weiterbildung können dazu beitragen, dass die Bevölkerung diesen Weg nicht mehr gehen muss − und für diese Bildungsmaßnahmen wird Strom benötigt.


IK-Bau NRW

Wie können die Mitglieder der Kammer einzelne Projekte oder Ingenieure ohne Grenzen insgesamt unterstützen?

Magdalena Lützig

Der Verein Ingenieure ohne Grenzen ist dezentral organisiert. In mehr als 30 deutschen Städten gibt es Regionalgruppen, in denen die operative Arbeit läuft. Wir freuen uns über jeden, der sich engagieren möchte. Gerade in Universitätsstädten wie Aachen sind die Gruppen stark von Studierenden geprägt. Wir freuen uns daher besonders über Ingenieurinnen und Ingenieure, die bereits Berufserfahrung haben. In unserem Projekt haben wir zum Beispiel eine gute Mischung aus Studierenden und Erfahrenen. Und um die Projekte zu finanzieren, freuen wir uns natürlich über jede einzelne Spende, durch die die Umsetzung erst möglich wird.

Das Interview führte IK-Bau NRW-Pressesprecher Dr. Bastian Peiffer

Magdalena Lützig
Magdalena Lützig
Ingenieure ohne Grenzen

Magdalena Lützig
Seit 10/2019: Studium Wirtschaftsingenieurwesen mit der Fr. Bau RWTH Aachen
08/2021 – 01/2022: Auslandssemester an der TalTech University Tallinn, Estland
Seit 10/2020: Ehrenamtlich aktiv im Ingenieure ohne Grenzen Projekt 'Lichtblicke im Himalaya'
Seit 2023 stellvertretende Projektleiterin Lichtblicke im Himalaya Ingenieure ohne Grenzen
03/2023 – 05/2023: Teil des Ausreiseteams für unsere Implementierung in Thulodhunga, Nepal

Matthias May

2016 – 2022 Bachelor of Science Maschinenbau RWTH Aachen
2022 – 2023 Master of Science Produktentwicklung RWTH Aachen
Seit 04/2019 Ehrenamtlich aktiv im Ingenieure ohne Grenzen Projekt 'Lichtblicke im Himalaya'
2021 – 2023 Projektinterne Verantwortlichkeit Photovoltaik und Fundraising
09/2022 - 10/2022 Leiter des Ausreiseteams für unsere Implementierung in Sotang, Nepal
Seit 2023 Projektleiter Lichtblicke im Himalaya Ingenieure ohne Grenzen

Matthias May
Matthias May
Ingenieure ohne Grenzen, Matthias May

Spenden kann man einfach online über diesen QR-Code
Oder auf das Konto von Ingenieure ohne Grenzen: Ingenieure ohne Grenzen e.V.
IBAN: DE89 5335 0000 1030 3333 37
BIC: HELADEF1MAR
Verwendungszweck: Programm Schulen (NPL-IOG13)