02.06.2022
Am 02. Juni 2022 hat der Bundesgerichtshof entschieden, ob sogenannte Aufstockungsklagen auf Grundlage der HOAI in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung noch Aussicht auf Erfolg haben können.
Zunächst hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 04.07.2019 entschieden, dass die uneingeschränkte Verbindlichkeit der Mindest- und Höchstsätze nach der HOAI in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung nicht mit europäischem Recht vereinbar ist. Die davon betroffenen Regelungen in der HOAI wurden zum 01.01.2021 geändert.
Wie ist nun mit Honorarvereinbarungen umzugehen, die die – für europarechtswidrig erklärten – Mindestsätze nach der HOAI in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung unterschritten haben? In der Vergangenheit wurden solche Honorarvereinbarungen wegen der Unterschreitung des Mindestsatzhonorars nach der „alten“ HOAI als unwirksam betrachtet. Auftragnehmer konnten – von bestimmten Ausnahmefällen abgesehen – das Honorar in Höhe des Mindestsatzes nach der HOAI in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung verlangen (sogenannte Aufstockungsklagen). Ob diese Rechtsprechung noch nach der EuGH-Entscheidung vom Sommer 2019 Bestand haben konnte, beantworteten deutsche Gerichte unterschiedlich.
Im Januar 2021 stellte der EuGH zunächst fest, dass allein das europäische Recht solchen Aufstockungsklagen auf der Grundlage der bis zum 31.12.2020 geltenden HOAI nicht entgegenstehe. Er ließ jedoch offen, ob sich aus dem deutschen Recht etwas anderes ergeben könne.
Darüber hatte nun der Bundesgerichtshof (BGH) zu entscheiden. In dem zu Grunde liegenden Fall hatte ein Auftragnehmer mit seinem Auftraggeber – einem Unternehmen –ein Honorar vereinbart, das in unzulässiger Weise die seinerzeit geltenden Mindestsätze unterschritt. Diese Vereinbarung wurde im Juni 2016, also unter Geltung der „alten“ HOAI in der Fassung bis 31.12.2020 und noch vor der Entscheidung des EuGH zur Europarechtswidrigkeit der darin als zwingend festgelegten Mindest- und Höchstsätze, getroffen. Am 02.06.2022 urteilte der BGH zum Aktenzeichen VII ZR 174/19, dass diese Honorarvereinbarung wegen der Unterschreitung der Mindestsätze nach der „alten“ HOAI unwirksam sei und der Auftraggeber daher dem Auftragnehmer ein Honorar in Höhe des Mindestsatzes nach der HOAI in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung zu zahlen habe.
Offen ist derzeit noch, ob die BGH-Entscheidung vom 02.06.2022 auch auf andere Fälle wie zum Beispiel Honorarvereinbarungen mit öffentlichen Auftraggebern übertragen werden kann ist . Die Ingenieurkammer-Bau NRW wird über die künftigen Entwicklungen dazu berichten. Ingenieure und Ingenieurinnen, die mit Blick auf die jüngste Entscheidung des BGH eine Aufstockungsklage erheben möchten, ist auch deshalb dringend zu empfehlen, sich zuvor anwaltlich beraten zu lassen.
Besonders hervorzuheben ist jedoch: Honorarvereinbarungen, die nach dem 01.01.2021 abgeschlossen wurden, werden von der aktuellen Rechtsprechung nicht berührt! Auftragnehmer, die nach diesem Zeitpunkt ein Honorar in Textform vereinbart haben, können daher kein höheres als das vereinbarte Honorar verlangen. Dies gilt auch dann, wenn dieses Honorar die Basishonorarsätze (die früheren Mindestsätze nach der bis zum 31.12.2020 geltenden HOAI) unterschreitet. Ingenieurinnen und Ingenieuren ist daher umso dringender zu raten, die eigenen Honorare wirtschaftlich genau zu kalkulieren und nur solche Honorare zu akzeptieren, die auch auskömmlich und angemessen sind! Der Honorarrahmen der HOAI in ihrer aktuellen Fassung bietet nach Überzeugung der Ingenieurkammer-Bau NRW eine verlässliche Orientierung.
Weitere Informationen zum Urteil des BGH vom 02.06.2022 und eine Stellungnahme des Präsidenten der Ingenieurkammer-Bau NRW und der Bundesingenieurkammer, Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, finden Sie auf der Homepage der BIngK
Mitglieder der Ingenieurkammer-Bau NRW können zu diesem Thema kostenfrei die rechtliche Erstberatung in Anspruch nehmen oder sich gerne auch an die gerne an die Geschäftsstelle der Kammer wenden. Ansprechpartner dort sind:
Ass. jur. Katja Hennig,
Honorar- und Vergabeinformationsstelle der IK-Bau NRW
T 0211 1306 –112
E hennig@ikbaunrw.de
Dr. Alexander Petschulat,
Justiziar der IK-Bau NRW
T 0211 13067–140
E petschulat@ikbaunrw.de