11.05.2022

"Als Unternehmerin bremst mich keine gläserne Decke"

Als Geschäftsführende Gesellschafterin leitet Bauass. Dipl.- Ing. Friederike Schweer die Beratungsgesellschaft für kommunale Infrastruktur mbH in Aachen. Wir haben mit ihr über die Rolle der Frau im Bauingenieurwesen und die Attraktivität des Unternehmertums für die junge Generation gesprochen.

Bauass. Dipl.-Ing. Friederike Schweer
Bauass. Dipl.-Ing. Friederike Schweer
privat

Am 20. Mai diskutiert  Dipl.-Ing. Friederike Schweer mit weiteren spannenden Gästen auf Einladung der IK-Bau NRW online über das Thema: "Challeng.ING - Herausforderung Gleichstellung". Hier geht es zur Anmeldung!

Bauass. Dipl.-Ing. Friederike Schweer im Interview

IK-Bau NRW

Frau Schweer, Ihr Büro wurde dafür ausgezeichnet, dass es die Verbindung von Familie und Karriere erfolgreich unterstützt. Was muss ein Arbeitgeber in leisten, um seinen Angestellten Karriere und Familie zu ermöglichen?

Friederike Schweer

Unsere Projektbearbeiterinnen und Projektbearbeiter können ihre Arbeitszeit sehr frei und selbstbestimmt organisieren. Wenn ein Mitarbeiter Anlass hat, gar nicht zu erscheinen und dafür abends nacharbeitet, egal ob zu Hause oder im Büro, dann ist das überhaupt kein Problem. Flexible Arbeitszeiten sind also ein wichtiger Teil der Lösung. Es gibt zwar Vereinbarungen über Kernarbeitszeiten. Hier handelt es sich aber nur um ein paar Stunden am Tag, zu denen man sich verbindlich verpflichtet anwesend zu sein. Für die Teamorganisation ist es wichtig, dass man Meetings dann in solche Stunden legt. Ansonsten kann jeder selbst bestimmen, ob er um 10:00 Uhr oder um 07:00 Uhr anfängt. Allerdings machen die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von dem Angebot flexibler Arbeitszeiten nur dann Gebrauch, wenn wirklich Not ist. Zudem führt das Angebot dazu, dass eine solche Not oft erst gar nicht entsteht. Wer beispielsweise einen Arzttermin hat, kann diesen jederzeit wahrnehmen. Das alles funktioniert mit reiner Vertrauensarbeitszeit. Grundsätzlich trägt die Möglichkeit, seinen Arbeitsalltag zeitlich frei zu gestalten, sehr zu einer positiven Büroatmosphäre bei. Gibt es keine andere Möglichkeit die Kinder unterzubringen, dann sind diese natürlich auch im Büro willkommen. Auch wenn das nicht häufig vorkommt, vermittelt die Möglichkeit ein gutes Gefühl.

IK-Bau NRW

Nutzen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die flexiblen Arbeitszeiten unterschiedlich?

Friederike Schweer

In normalenZeiten ist nicht mehr ohne weiteres ein Unterschied zu erkennen. Aber als jetzt während der Pandemie der Betreuungsbedarf für die Kinder stark angewachsen ist, waren es anscheinend eher die Frauen, die zu Hause geblieben sind. Das mag aber auch Zufall sein. Ansonsten machen das eigentliche alle gleich.

IK-Bau NRW

Mehr Zuarbeit und weniger Verantwortung – Frauen, die nach der Elternzeit ins Büro zurückkehren, bemerken häufig wie das Karriererad sich stetig langsamer dreht und schließlich stillsteht. Wie kommt es aus Ihrer Sicht dazu?

Friederike Schweer

Es gibt dieses Phänomen sicherlich, aber nicht immer geht der Impuls hier vom Arbeitgeber aus. Meiner Erfahrung nach ist es manchmal auch so, dass Mitarbeiterinnen, die aus familiären Gründen aus einer Vollzeit- in eine Halbtagsstelle wechseln, irgendwann den Wunsch äußern, keine alleinige Projektverantwortung mehr zu übernehmen. Der Druck, berufliche Termine und familiäre Verpflichtungen unter einen Hut zu bringen, erscheint dann einfach zu groß. Weniger Projektverantwortung kann dann auch eine Befreiung sein. Die Faktoren, die die Verbindung von Karriere und Familie bestimmen, liegen eben auch, aber keinesfalls ausschließlich in der Hand der Arbeitgeber. Frauen haben häufig eine sehr hohe Erwartung an sich selbst. Auch externe Faktoren spielen hier eine große Rolle, insbesondere die Erwartungshaltung an die Rolle der Frau in der Familie. Es geht um ein gesamtgesellschaftliches Problem, das auf mehreren Ebenen gelöst werden muss.

IK-Bau NRW

Woran könnte es liegen, dass der jüngeren Generation die unternehmerische Verantwortung wenig verlockend erscheint? Spielt hier das Bild des Unternehmers eine Rolle, der jede Woche 60 Stunden arbeitet und an 24 Stunden, sieben Tage die Woche für sein Unternehmen lebt, eine abschreckende Rolle?

Friederike Schweer

Ich glaube persönlich nicht, dass die vermeintlich hohe Arbeitsbelastung als Unternehmer abschreckt. Ich sehe aber, dass das Selbstständig sein an sich zu wenig wertgeschätzt wird. Das Image des Unternehmers ist schlecht und seine Motivation wird von außen nicht selten auf das Materielle reduziert. Gleichzeitig bleibt das gesellschaftliche Engagement unterbelichtet. Auch während der Coronakrise waren der oder die Selbständige als Sündenbock schnell bei der Hand, obwohl das Gros der Unternehmerinnen und Unternehmer sich sicher sehr verantwortungsvoll verhalten hat. Das alles könnte dazu beitragen, dass viele sich heute fragen, warum man sich das antun sollte. Allerdings glaube ich nicht, dass das Bild des Unternehmers hier abschreckend wirkt, der vermeintlich 24/7 für ihr Unternehmen im Einsatz ist. Natürlich ist der Aufwand als Unternehmer nicht immer in einer klassischen 40-Stunden-Woche zu bewältigen, doch die unternehmerische Freiheit, die Kurzweiligkeit der Tätigkeit und der Kontakt zu vielen interessanten Menschen wiegen den Arbeitseinsatz mehr als auf.

IK-Bau NRW

Die Verantwortung als Unternehmer wiegt schwer. Wirkt allein dies abschreckend?

Friederike Schweer

Man hat als Unternehmer eine große Verantwortung und man kann unter dieser Verantwortung zuweilen auch leiden. Aber natürlich haben auch Angestellte Ängste. Die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz korrespondiert hier mit der Sorge des Unternehmers um das Wohlergehen des gesamten Betriebes. Doch gerade in Krisenzeiten habe ich es als Unternehmerin immer als befreiend empfunden, selbstbestimmt handeln und gestalten zu können. Als Unternehmerin erhalte ich ein unmittelbares Feedback auf das, was ich mache und das ist eine sehr positive Erfahrung.

IK-Bau NRW

Wie kann man das Unternehmertum gerade auch im Ingenieurwesen wieder attraktiver machen?

Friederike Schweer

Was vielen jungen Menschen zum Start ihrer Karriere als Unternehmer fehlt, sind praktische Tipps gestandener Firmeninhaberinnen und Firmeninhaber. Gerade im Mittelstand benötige ich mit der Gründung meines Unternehmens vielleicht nicht noch einen Kurs in Controlling, sondern ich brauche einen Mentor, der mir bei ganz praktischen Fragen weiterhilft. Dieses Prinzip ist hierzulande noch viel zu wenig etabliert; auch weil erfahrene Unternehmer sich aus Wettbewerbsgründen scheuen, ihr wertvolles Wissen zu teilen.

IK-Bau NRW

Im Bauwesen spielt der Zugang zu Netzwerken für den wirtschaftlichen Erfolg eine Rolle. Viele dieser Netzwerke sind oder waren männlich dominiert. Wie sind hier Ihre Erfahrungen?

Friederike Schweer

Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Grundsätzlich bin ich als Unternehmerin in viele Netzwerke eingebunden, diese setzen sich beispielsweise aus den Beteiligten vergangener Projekte zusammen. Zum reinen Erfahrungsaustausch sind Frauennetzwerke sicher eine gute Sache, ansonsten tut man sich mit einer solchen Selbstbeschränkung vielleicht keinen Gefallen. Darüber hinaus spielen die klassischen Männernetzwerke, in denen vermeintliche Aufträge vergeben werden, meiner Erfahrung nach eine immer geringere Rolle.

IK-Bau NRW

In der Öffentlichkeit erfährt man immer noch zu wenig über weibliche Vorbilder als Unternehmerinnen. Gibt es zu wenige solcher Vorbilder oder handelt es sich um ein Wahrnehmungsproblem?

Friederike Schweer

Ich denke, es gibt einfach noch zu wenige Vorbilder. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis bin ich eine von zwei Frauen, die im Ingenieurbereich selbstständig sind. Auch unter meinen ehemaligen Kommilitoninnen bilde ich als Unternehmerin die Ausnahme. Deshalb fehlen auch mir manchmal Vorbilder, die Orientierung in der Rolle als Unternehmerin geben. Wir sollten, wenn wir über Unternehmerinnen sprechen, nicht gleich an den Konzern und vermeintliche Statussymbole und Insignien eines überkommenen Unternehmertuns denken. Gerade im Ingenieurwesen überwiegen die mittelständisch organisierten Büros, in denen Unternehmerinnen und Unternehmer sich stark für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und für die Gesellschaft engagieren und deren Antrieb nicht in erster Linie finanzielle Motive sind. In dieser Rolle wird von Unternehmerinnen und Unternehmern eine sehr große Bandbreite an Kompetenzen gefordert, die in der Öffentlichkeit viel zu wenig wahrgenommen werden.

IK-Bau NRW

Das Bauingenieurwesen war lange eine Männerdomäne. Wie sind Ihre Erfahrungen in dieser Welt?

Friederike Schweer

Ich habe hier glücklicherweise nie negative Erfahrungen gemacht. Vom Baustellenpraktikum während der Schulzeit bis in den Berufsalltag hinein habe ich hier vor allem Unterstützung erfahren und sehe meine Erlebnisse auch als Ermutigung für junge Frauen, diesen spannenden Berufsweg einzuschlagen. Wenn man dann auch noch den Schritt in die Selbständigkeit wagt, darf man sicher sein, dass keine gläserne Wand das berufliche Fortkommen bremst. Dann kann man als Unternehmerin sein Berufsleben selbstbestimmt gestalten.


Das Interview führte IK-Bau NRW-Pressesprecher Dr. Bastian Peiffer

[Erstveröffentlichung im Kammer-Spiegel 06/2021]